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Mit dem Radlader ins Hotel

von Marc Krautwedel

Kapitel 64: Das Duell mit dem toten Vogel

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Das Duell mit dem toten Vogel

Das Duell mit dem toten Vogel

Lüneburg

Wortkarg ging die Reise mit meinem Sohn zurück nach Lüneburg. Natürlich gab es immer wieder Wortwechsel in den nächsten Tagen. Es wurde schon deutlich besser, als jeder von uns eigene Rückzugsmöglichkeiten hatte. Beide im eigenen Zuhause, auch wenn es dieselbe Stadt war. Auf der Reise hatten wir drei zu schnell und zu konzentriert versucht, eine Einheit aus Fremden zusammenzuschustern. Unsere Wege, aufeinander zuzugehen unterschieden sich total. Aber es funktionierte. Der Plan meines Sohnes war bescheuert. Man donnert nicht zusammen mit der frisch Verlobten und mir – ich verstehe es bis heute nicht – ihrer angehenden Schwiegermutter durch Italien. Und doch hatte die Tour auf schrille Weise alle Beteiligten sensibilisiert.

Zwei Monate später kehrte Katja nach Lüneburg zurück. Diesmal kam sie, um zu bleiben. Die Hochzeitsvorbereitungen liefen auf Hochtouren. Formal wie organisatorisch waren sie bereit. Das Paar war endlich länger zusammen. Die Energie war da – wie auch der Wille. Sie waren sich sicher, dass sie heiraten wollten. Die beiden stark ausgeprägten Individuen wollten mit ihren Eigenarten gegenseitig offene Türen einrennen. Die Hemmschwellen und die Zurückhaltung fielen. Auch begannen die ersten Phasen der Korrektur. Kleine, aber feine Unstimmigkeiten stellten sich ein, von denen sie ahnten, dass sie nicht durch ein neues Reiseziel weggewischt werden würden. Vieles habe ich nur am Rande mitbekommen. In den meisten Situationen wäre ich in jedem Fall nicht auf Seiten meines Sohnes – damals wie heute. Ich bin zwar geraume Zeit seine Mutter, aber ich kenne ihn.

„Sie telefoniert dauernd. – Auf Weißrussisch. Das nervt.“

„Ach! Das tut sie? Als Weißrussin? Das ist überraschend.“

„Haha. Sehr witzig. Das meine ich nicht. Sie spricht viel mehr und lauter als bisher. Ich dachte, sie sei anders, irgendwie …“.

„Pflegeleicht?“ war meine nicht bisslose und zweifelsfrei treffende rhetorische Frage. Ich hatte nicht nur bei Junior die Erfahrung gemacht, dass manche Männer sich am liebsten gern selbst reden hören und ihre Meinungen im Allgemeinen als wichtiger zu werten sein sollten. Dass er aufgrund ihrer Aussagen befürchtete, ihre Mutter würde nach Lüneburg hinterherziehen, war nun wirklich sein Problem. Ich sagte es ihm, als er Beistand bei mir suchte. Im Grunde war es offensichtlich und vorhersehbar. Ihre Vorstellungen und Ansichten kristallisierten sich als derart gegensätzlich heraus, dass er kaum Raum für Kompromisse gab. Es fing bei den einfachsten Dingen an und ist an Lächerlichkeit kaum zu überbieten:

Sie wollten zusammen ein Brathuhn im Ofen zubereiten. – Das muss Katjas Idee gewesen sein, denn außer Nudelaufläufen und Lasagne machte mein Sohn nichts im Backofen. Selbst die Küchenzauberphase hatte er schon lange hinter sich gelassen. Darauf warten, dass ein Vogel Farbe bekäme, war nicht sein Ding. Wir er mir später sagte, hatte er eine Vorstellung, ›so was wie Coq au Vin‹, also irgendwie mit Gemüse, Kräutern und Sößchen, vor allem mit Hahn und Wein zuzubereiten. Weit gefehlt. Er erzählte mir, dass das von Katja ausgewählte Huhn nicht einfach ein Hähnchen war, sondern ein, ich zitiere: „ … mastschweingroßes Suppenhuhn! Mutter, das passte kaum in den Ofen.“

„Quatsch, du übertreibst. Das hättet ihr nicht aufessen können. Du irgendwann, aber Katja isst doch nur ›Suuupe‹“, kommentierte ich wenig feinfühlend.

„Wir haben zwei Tage daran gekaut.“

„Coq au Vin“, wiederholte ich und dachte, dass es vielleicht doch einen winzigen Effekt hatte, dem Sohn eines Alphatieres als Fünfjährigem eine Barbiepuppe statt einer Plastikwaffe zu schenken. „Das ist toll, dass ihr etwas Alltägliches gemeinsam tut. Ihr wollt Familie. Irgendjemand wird kochen und wenn ihr das zusammen macht, ist das Arbeitsteilung und Gleichberechtigung.“ Ich war in meinem Element. ›Ein Hoffnungsschimmer. Es ist nicht alles verloren. Sollte sich hier eine Zeitenwende darstellen?‹

„Was heißt Coq au Vin? Sie wollte es so zubereiten, wie ihre Mutter es macht.“

„Auch nett. Hat es geschmeckt?“ Ich hatte wirklich kein Interesse, die neuesten oder ältesten Hühnerrezepte aus Weißrussland zu hören.

„Trocken und irgendwie komisch; nach Lack.“

„Das bildest du dir ein. Das es zu trocken wird, kann passieren. Es war euer erstes Huhn“, sagte ich und fragte mich: ›Wo bin ich hier gelandet?‹

„Darum geht es nicht. Was soll man erwarten, wenn sie den kompletten Vogel mit dem Hintern hochkant auf einer geöffneten Bierbüchse steckt.“

„Wie bitte?“ Die Frage war mir rausgerutscht. Ich hätte es nicht weiter forcieren sollen.

„Der Vogel stand mit emporgestreckten Flügelstümpfen umsäumt vom Gegenlicht der Backofenlampe. Wenn ich nach ihm sah, guckte das kopflose Biest, als würde es mich zu einem Duell am Abend bei tief stehender Sonne herausfordern.“

„Es kann vorkommen, das es nicht schmeckt. Wie häufig haben du und dein Vater an meinem Essen was auszusetzen gehabt?“„Nie“, sagte er im Übereifer.

„Nur weil ich eingespielt war – und ihr keine Experimente neben euren Klassikern wolltet. Katja und du, ihr kocht zusammen. Das ist ein Anfang und kein Grund, sich darüber aufzuregen. Schade um das Tier, aber – wegschmeißen das Ding – und fertig.“

„Was für ein Ding?“

„Was zum Himmel habe ich damit zu tun? Mann, das ist deine Frau oder soll sie werden. Könnt ihr den Kinderkram bitte ohne mich regeln? Du willst doch nicht sagen, dass sie obendrein die falsche Mülltonne genommen hat. Mit dem Drama müsstest du alleine fertig werden können.“

„Nein, hat sie nicht. Sie hat die Reste auf den Tisch vom Balkon geworfen. – Den ganzen Vogel. Die Knochen – alles, was da war.“

„Und warum?“ – ›Ich sollte aufhören zu fragen.‹

„Für die Katze.“

„Ihr habt keine Katze. Du bist allergisch.“ ›Und, jetzt bin ich urlaubsreif‹, dachte ich.

„Das habe ich Katja auch gesagt und sie sagte: ›Schaaatz, ich habe Kaaatze gesehen. Ist schöne Katter; große, fetter Katter. Er wird zum Essen vorbeikommen.‹ Sie füttert streunende Katzen.“

›Kann man machen‹, dachte ich. ›Vielleicht ist es nicht unbedingt die feine Art. In der Fußgängerzone von Lüneburg mit den fettigen und gebräunten Überresten von einem Vogel zu hantieren, ist grenzwertig. Außerdem könnten sich kleine Kinder erschrecken, wenn die Karkasse eines Riesenhuhns unter den kleinen Schühchen elastisch nachgibt. Grundsätzlich gibt es an einer Komplettverwertung nichts auszusetzen. Auf die Idee, den ganzen Körper einer Weihnachtsgans über den Zaun zu schmeißen, wäre ich nicht gekommen. Nicht einmal als wir noch im Wald gewohnt hatten.‹

Es schien ernster zu sein, und es hatte weniger mit den Kleinigkeiten zu tun. Er begann ihre Aussprache, die er zuvor liebte, nachzuäffen. Das war keine Ironie. Genauso zog sie die Zügel der Beziehungskontrolle an. In den vorher rausposaunten Zielen in Ehe und Elternschaft waren sie sich immer einig. Mich wunderte es nicht, denn ich hatte ihn großgezogen. Irgendetwas wird dabei hängen geblieben sein. Genauso hat sie ihre Sozialisierung. Sie prasselten mit ihren Realitäten aufeinander und es ging nicht gut aus. Am selben Tag verkündeten sie gleichzeitig einander ihre Entscheidung, sich zu trennen. Drei Stunden später stieg sie in den Zug nach Berlin, um von dort weiter nach Minsk zu fliegen.

Die Geschichte endete, wo sie begann – bei Freunden in deren Gastronomie in der Schröderstraße von Lüneburg unter dem Ahornbaum. Mein Sohn kam direkt vom Bahnhof und setzte sich mit einem versteinerten Gesicht. Der Wirt und seine Frau kamen an den Tisch. Es war jene Frau, die ein Jahr zuvor Sascha, seine Frau, Mitarbeiter und Katja russisch bekocht hatte. Auch zwei, drei andere Freunde und Bekannte, die seine Situation kannten, kamen zu uns, um Junior zu trösten. Jeder tat das Seine und jede das Ihre – und einer auf eine unnachahmlich wenig feinfühlige Weise. Dann saßen wir wieder allein.

„Wir wollten Kinder.“

„Ich weiß.“

„Sie hat auf der Datsche geübt, barfuß zu laufen, damit sie nicht mehr nur auf Zehenspitzen gehen kann. Sie will runter von den hochhackigen Schuhen.“

„Ich weiß.“

„Ich hatte begonnen, Russisch zu lernen, aber damit aufgehört, als sie hier war.“

„Ich weiß.“

Leise sang er den Refrain des russischen Volksliedes, dessen Inhalt er weiß, aber nur die eine Zeile kennt: „Valenki da valenki oy da nepodshity staren'ki.“

Valenki, die alten, ausgelatschten Winterstiefel, mit denen der Träger nicht vor die Tür gehen kann und möchte, um zu seiner Geliebten zu kommen. Stattdessen läuft er barfuß.

Er nahm den Kopf hoch und sagte: „Das wäre nicht gut gegangen.“

Mein Sohn ist mir nur manchmal fremd und ich teile ganz gewiss selten seine Meinung, aber ich kenne ihn.

„Und – liebst du sie?“

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