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Mit dem Radlader ins Hotel

von Marc Krautwedel

Kapitel 63: Montparnasse

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Montparnasse

Montparnasse

Paris

Ein Jahr zuvor im herbstlichen Paris, gingen mein Mann und ich mit Ansage abends in ein Bistro. Es lag direkt neben unserem alten, schmalen Stadthotel mit den auskragenden Balkonen und schwarzen gusseisernen, ornamentalen Geländern. Unser Sohn schlief nach einem Tag an der Seine, wo er zumeist von meinem Mann auf den Schultern getragen wurde. Juniors Hirn schien unterfordert zu sein. Unter der von mir gehäkelten Mütze kam ihm der Gedanke, meinen Mann mir dem Kinn auf dessen Schädeldecke zu nerven. Die Häkelmütze war das Modell: Wollreste, warm, billig, handwerklich schlecht – in verschiedenen Orange- und Brauntönen.

Am Tag zuvor hatte mein Sohn, von Unternehmungslust getrieben, die glorreiche Idee, den Balkon nass zu reinigen. Er flitzte, ohne dass ich ernsthaft darüber nachgedacht hatte, mit einer Wasserflasche zwischen Bad und Balkon hin und her. Es dauerte nicht lange und es drangen französische Schimpftiraden von außerhalb an mein Ohr. Ich ging auf den nassen, hervorragend gereinigten Balkon. Unten auf der Straße, drei Geschosse unter uns stand eine kleine Gruppe von wahrscheinlich Franzosen um einen Pariser Flic, einen Polizisten. Sie winkten mir zu. Dabei wetterten sie in Landessprache auf das Eindrucksvollste. Französische Lebensart eben – einfach loslassen, was die Zurückhaltung in den meisten Situationen verbietet. Ich blickte mich um und konnte nichts Außergewöhnliches am Hotel sehen. Mein Sohn stand neben mir und winkte den Leuten zu.

Der Nachweis einer unangemessenen Absicht war unmöglich. Es würde ungeklärt bleiben, ob es sein Vorhaben war, den Balkon zu reinigen und dabei mit Wasser zu spielen. Vielleicht hatte er sich überlegt, wie er an diesem sonnigen Tag die unvorbereiteten Leute auf dem Gehweg unerkannt nassmachen konnte. In Nachbetrachtung unter Berücksichtigung menschlichen, insbesondere männlichen Verhaltens liegt eine Vermutung nahe. Wie so oft hatte sich ein Spieltrieb mit einer neuen Erfahrung in ein noch ereignisreicheres Spiel gewandelt.

Die Stunde im Bistro war genau das Richtige. Wir saßen als Paar im Weltstadtflair und fanden einen passenden Abschluss für den Kurztrip in die französische Lebensart.

Wir sollten lernen, was es neben Käse, Baguette und Wein weiter bedeuten kann. Als wir zurück zum Zimmer gingen, drang eine Sprachkulisse sanfter Art durch die geöffnete Tür. Auf dem Bett saßen sechs erwachsene Personen; drei Paare, zwei davon Franzosen, eines waren Deutsche. Inmitten des Bettes mein Sohn sitzend und erzählte und erzählte. Er schien die lachenden Teilnehmer seines Publikums tatsächlich bestens zu unterhalten.

›Das Kind lebt!‹ ist eine Wertung, die gänzlich alle nachrangigen Überlegungen wie überschüssige Bälle auf dem Platz ins Seitenaus kicken lässt.

Die Stimmung war vertraut und ausgelassen freundlich, sodass wir uns unwissend, aber fraglos dazu gesellten. Alle dann vier Paare kannten sich nicht und der Abend wurde ausgesprochen nett. Nebenbei erfuhren wir, dass unser Sohn, kaum, dass wir das Hotel verlassen hatten, im Schlafanzug auf den kleinen Flur gegangen war. Er hatte an alle Zimmertüren geklopft und vermeldet: „Hilfe, Hilfe, ich bin allein und meine Eltern saufen Rotwein.“

Irgendwie hatte er es immer geschafft, mir das Rabenmutter-Image anzuheften: Als Fünfjähriger, als der Kinderarzt vorbeikam: „Danke, Herr Doktor, dass Sie gekommen sind.“

Mir fiel die Kinnlade herunter, dass von dem Gör zu hören, das mit seinen sozial fragwürdigen Freuden gerade die Phase der auch unhygienischen Mutproben durchlief.

„Was sind deine Hobbys?“, fragte ein späterer Kinderarzt den dann Neunjährigen. „Klavierspielen, Lesen und Schach“.

Der Arzt sah mich verächtlich an. „Sie wollen ein Superkind und nicht sein Wohl.“

Ich stammelte irgendetwas Sinnloses, hakte den Moment ab und plante meinen anschließenden Einkauf: ›Waschpulver und eine neue Pudelmütze. Die andere hat er gestern verloren, als er im vereisten Moor seinen Spielkameraden aus dem Sumpf zog. Beide kamen verschlammt zu mir. Ach, und ich muss noch mit der Mutter des Jungen reden, der meinen Lügenbold heute auf dem Schulweg so genervt hatte. Um ihn loszuwerden, hatte Junior ihm dann weisgemacht, dass in dem Schneeball, den er gleich auf ihn werfen würde, eine Nadel sei.‹ „Was sagten Sie? Superkind? Wer will das nicht.“

Ich stellte die Sonne meines Lebens zur Rede und er erklärte mir sinngemäß, dass er Klavier spielt, Schach zumindest beherrscht, beides ohne Aufwand gern auch weiterhin in seinem Reigen an Fähigkeiten behalte, und dass selbst Comichefte Texte haben. Es war damals so einfach für ihn.

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