Eindrücke – in Tür und Seele
Israel
Ich war das zweite Mal im Land meiner facettenreichen Manifestation. Bei der ersten Reise besuchte ich eine Brieffreundin. Wenn ich heute auf das an sich unscheinbare Foto des Sonnenaufgangs über dem Toten Meer mit der Palme davor blicke, werden Emotionen geweckt, die zumindest ich nicht beschreiben kann. Die Sonne ist genau ›hinter‹ den Palmwedeln und das Bild, so hübsch es ist, bleibt nur die Erinnerung an mehr. Das Gefühl, dort zu sein und vorbehaltlos vom Balkon zunächst nur zu gucken, war schnell tief, aber es nahm den Raum nicht in der Breite ein. Es war durchmengt, nicht vielschichtig; wärmend, aber nicht heiß. Es weckte andere Gefühle, als ›Sehnsucht‹ es ausdrückt. Schwerer – mit geringerer gewollter oder ungewollter Flüchtigkeit. Der Blick auf das Tote Meer war für mich wie ein Katalysator, der so vieles Gutes verstärkte, ohne die Suppe zu versalzen.
Zum Beten nach Jerusalem, zum Feiern nach Tel Aviv und zum Arbeiten nach Haifa. So sagt man wohl. Für meine Person betreffend ließ sich das schnell abhaken: Ich war nicht beruflich hier. Das Feiern wollte ich generell nicht ausschließen, legte es aber genauso grundsätzlich nicht darauf an. Natürlich wird auch in Jerusalem gebetet, allerdings aus verschiedenen Richtungen. Die Stadt ist eben nicht der Schmelztiegel, in dem unter großer Hitze das Einzelne seiner Eigenständigkeit verliert. Jerusalem ist eine Ansammlung von kulturhistorisch emotionalen Pulverfässern.
Irritiert war der Mönch in der Grabeskirche in Jerusalem, dem ersten Ziel meiner zweite Reise auf dem Weg zu meinem dortigen Hotel. Ich stieg aus dem Taxi aus und ging schnurstracks zur Kirche.
„Hallo, Sie sind in Eile. Wo kommen Sie her?“
„Hallo. Aus Hamburg. Ich komme vom Flughafen – bin gerade gelandet.“
„Bleiben Sie länger?“
„Zwei Wochen. Busrundreise. Es geht in zwei Tagen los. Einmal durch. Tel Aviv, Haifa, See Genezareth, ein Kibbuz, dann Negev, Sinai und der Golf von Akaba – und wieder her.“
„Ich verstehe. Zwei Wochen. Direkt vom Flughafen also. Und wo ist der Rest ihr restliches Gepäck?“
„Auf dem Weg ins Hotel.“
Er sah mich verständnislos an. Vermutlich hielt er mein Handeln für unpassend, ungewöhnlich, vielleicht sogar naiv.
„Mein Gepäck ist im Taxi. Ich bat den Taxifahrer, es im Hotel abzugeben.“
„Es ist ein Wagen vom Hotel, oder?“
„Nein, das Taxi stand am Flughafen. Keine Sorge, ich habe beim Aussteigen gefragt, was es kostet und bezahlt.“
„Ich verstehe“, sagte der koptische Mönch und ich bin mir im Nachhinein nicht sicher, ob er es wirklich tat.
Israel ist so spannend und so direkt. Voll von Gefühlen und Historie. – Ein Klassentreffen unterschiedlicher Gesinnungen. Aber ohne dass – gleich einem Schmelztiegel – eine Vereinheitlichung im Gemeinsamen –wie in New York – entstünde. Die Gemeinschaft ist heterogener als im „Village“. Volle Kanne. Da wird man sich doch nicht mit den nicht lebenslangweiligen Trivialitäten wie den Bedenken um die Glaubwürdigkeit eines Menschen anlässlich der Verbringung von Koffern mit Klamotten und Hygieneartikeln beschäftigen. Der Alltag ist von Spannungen und Liebe, von Furcht und Feier, von Wut und Versöhnung geprägt. Koffer? Natürlich ist der im Hotel gelandet. Papiere habe ich immer bei mir. Großspurigkeit war es auch nicht. Naivität? – Nein. Die Risiken waren abschätzbar. Freiheit von Angst ist wertvoller als mein Lippenstift.
Die Grabeskirche ist fantastisch. Die unterschiedlichen Religionsgemeinschaften, geeint im Glauben, getrennt in ihrem Wettbewerb um den besseren Weg in besinnlicher Kontemplation. Sie wird abends zugeschlossen. Es war nicht meine Idee – der Mönch lud mich ein dortzubleiben, und ich ließ mich mit den Geistlichen einschließen. Eine Nacht mit den Mönchen in dem Labyrinth von Gängen und Zimmern. Eine Nacht der aufgeregten Ruhe. Ich war bei den koptischen Christen zu Gast.
Natürlich bin ich in Jerusalem wie überall reichlich zu Fuß unterwegs gewesen. In der Altstadt, im muslimischen Quartier unweit der Via Dolorosa wurde ich begrapscht. Bei all der Offenheit, die meinen Geist umgibt – der feste Griff an mein Hinterteil ist nachweislich nicht die beste Voraussetzung, um von mir mit einer Charmeoffensive zu rechnen. Ohne mich umzusehen oder Zeit für Entrüstung zu gewinnen, drehte ich mich sofort mit Schwung und langte dem Kneifer voll ins Gesicht. Der gestandene Mann Ende zwanzig heulte auf und verzog sich nach hinten in seinen Laden.
Am nächsten Tag an der gleichen Stelle zu ähnlicher Zeit stand er wieder vor seinem Geschäft und hielt sich die geschwollene, deutlich rote Wange. Neben ihm war sein Vater, der ihn zwang, sich bei mir zu entschuldigen. Dieser tat es ohne viele Worte. Die Szene sagte alles. „Salam.“ „Salam.“
„Salam.“ Beinahe wäre ich noch zum Tee eingeladen worden. ›Männer‹, dachte ich. ›In der Geisteshaltung sind sie sich ähnlich. Überall auf der Welt. Wenn die nicht so bescheuert wären, bräuchte ich keine Feministin zu sein.“
Ich war wieder sehr weit gelaufen und wollte in Jerusalem zurück zum Hotel. Als ich mir ein Taxi rief, warnten mich zwei mit Maschinenpistole bewaffnete Polizisten, die an der Straße standen, davor, unvorsichtig zu sein. Ich sollte nicht in x-beliebige Fahrzeuge steigen. Dem Hinweis schenkte ich keine weitere Aufmerksamkeit und doch wurde es etwas sonderbar, als der arabische Taxifahrer begann, lautstark seinen Fahrgast – mich – zu beschimpfen. Was musste ich mir da alles anhören? Die übelsten Hasstiraden und Beleidigungen, die er mir als Christin, Mensch und Frau auftischen konnte, kamen aus ihm herausgespuckt. Den in Arabisch geschrienen Teil seiner Anfälle verstand ich nicht. Mein Arabisch ist auf nahe Null. Schreibend reichte es zur Darstellung meines Bemühens mit einigen geschriebenen Versen bei Brieffreunden. – Eine Frage der Höflichkeit und des guten Willens. – Es ging auch andersrum: Eine amerikanische Brieffreundin nutzte vor Urzeiten einen der ersten automatischen Übersetzter, um mir auf Deutsch zu schreiben und auch andere Texte zu senden. Es waren ausgerechnet Predigten und die Übersetzung war unmöglich zu verstehen. Nicht einmal interpretieren konnte ich den Vokabelmüll. Die Texte waren zusammenhangsloser Blödsinn ohne Satzbau. Sie bestand auf die neue Technik und ich machte von meinem Verweigerungsrecht Gebrauch.
Der Taxifahrer in Jerusalem schien zu wissen, was er schrie und pöbelte. Das mir unverständliche Geschreie hatte eine durchgängige Grundhaltung. Irgendwie war die Stimmung trotz aller Sprachbarrieren auch aus seinem Gesicht herauszulesen. Die Fahrt war nicht kurz. Zum Glück blieben wir in der Stadt und er schien Richtung Hotel zu fahren. Als er laut schimpfend und gestikulierend vor dem Haus hielt, kamen zwei Polizisten ein bis zwei Schritte näher. Sie bewachten den Hoteleingang mit ihren Maschinenpistolen. Ich zahlte, stieg aus und er brüllte mich an. Die beiden schwerstbewaffneten Ordnungshüter füllten ihre Lungen mit Frischluft. Sie waren nur noch ein Ausatmen von einer dominanteren Drohgebärde entfernt.
Ich knallte die Tür zu und trat ihm so hart ich konnte ins Blech derselben. Die mordsmäßig tiefe Delle – am Kraterrand mit einigen hübschen Lackabplatzungen – und genauso die Kratzer von meinen versandeten Sohlen waren unübersehbar. Er brüllte noch mehr, öffnete die Tür und sprang raus.
„Verscheiß dich, sonst kriegst du eins in die Wäsche!“, schrie ich ihn nicht in meinem edelsten, zumindest einem säuberlichst artikulierten Hochdeutsch an. Ich hatte die Polizisten in dem Moment weder im Auge noch im Sinn. Der Fahrer sprang ins Auto und brauste davon. Die Polizisten standen jetzt fast neben mir. Ich grüßte die beiden freundlich. Sie nickten nur, denn sie bekamen den Mund nicht auf, weil sich auf die Lippen bissen. Ihre Augen lachten schallend.
In abklingender Rage setzte ich mich in der Lobby auf einen Beruhigungskaffee und ein Gurkensandwich. Nach Tee war mir nicht. Ich trinke Kaffee in Mengen. Eine sehr alte Frau kam rein, sah mich, nahm neben mir am Tisch Platz und begann das Sandwich zu essen. Ich bin nicht kleinlich, aber eigentlich hatte ich es nicht für ungeladene Gäste. Sie sah mich hasserfüllt an und murmelte leise etwas auf Hebräisch. Von der Rezeption kam jemand geeilt, um sie rauszuschmeißen.
„Entschuldigen Sie. Ich werde die Frau sofort …“, er guckte mich an und er hatte einen entschlossenen, aber auch flehenden Ausdruck in den Augen. Warum? Keine Ahnung. ›Vielleicht kennt er sie, und sie schleifen sie hier mit durch.‹
Ich winkte ab. „Lassen sie die Dame bitte sitzen und bringen Sie ihr bitte einen Tee.“
Die Frau führte so etwas wie Selbstgespräche. Immer wieder stockte sie, sah zu mir rüber, trank ihren Tee, hielt inne und versank in sich. Es wiederholte sich eine Weile, bis sie ihren Tee getrunken hatte. Sie stand auf und ging wortlos aus der Hotelhalle nach draußen. Ich machte mir keinen Kopf über die Begegnungen des Tages. ›Jeder Mensch hat seine Erfahrungen, Geschichte, eigene Befindlichkeiten und Familienprobleme. Ich bin in Jerusalem und habe meinen Kaffee.‹
Jannis, unser Reiseführer kam in die Halle und sagte: “Anna, denk dran: Morgen ist wieder Gruppenprogramm. Wir fahren nach Yad Vashem.“
Es ist, wie es ist. Man kann nicht vorhersehen, woher der Ärger kommt und warum. Es lässt sich eingrenzen, aber letztendlich bin ich meinem Gewissen verpflichtet. Umgekehrt genauso, als gerade eine Gruppe deutscher Touristen in der Geburtskirche in Bethlehem Faxen veranstaltete. Sie ließen sich auf die Gedenktafel am Boden nieder, grabbelten alles an und machten Selfies, bei denen sie mit dem Gesicht möglichst dicht dran kommen wollten, als würden sie eine Break-Dance-Figur machen und gleich die Füße hochnehmen. Ich erinnere nicht, was ich Ihnen sagte. Aber es wirkte. Statt dem Partybus wurde es zum betroffenen Trauerzug. In der Geburtskirche. Da es tief gesessen hatte, werde ich etwas Übles von mir gegeben haben. Vielleicht in der Art, dass sie sich schämen sollten. Wenn was mit Kulturlosigkeit hinzugefügt wurde, noch schlimmer. Die Religionskarte werde ich nicht gezogen haben. Ich weiß nicht mehr, was ich sagte.
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