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Mit dem Radlader ins Hotel

von Marc Krautwedel

Kapitel 58: Liebe geht durch die Schuhe

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Liebe geht durch die Schuhe

Liebe geht durch die Schuhe

Verona

Auf der Hinfahrt waren wir nur daran vorbeigeschrammt, aber Verona ist allein schon eine Reise wert. Wer stellt sich nicht vor, an einem warmen Sommerabend Giuseppe Verdis Aida mit der Triumphszene oder den Gefangenenchor aus Nabucco in der Arena von Verona zu sehen? – Und danach, direkt vor der Arena auf der Piazza Brà mit Freunden zu sitzen? Es war ein tolles Erlebnis – in meiner Fantasie. Verona war bei mir immer nur Nebenschauplatz von Gardasee-Urlauben. Man fuhr eben auch mal nach dorthin. Einmal durch die Stadt latschen, den Balkon aus Romeo und Julia im Innenhof bewundern, steinerne Sarkophage bestaunen und sich nur vorstellen, wie es in der Arena wäre. Tagsüber mit Mann und Kind einmal ansehen, durchrauschen, um dann wieder ins Wasser zu fahren, war kein wirkliches Eintauchen. Der Vogelmarkt auf der Piazza delle Erbe löste bei mir einen gefühlten Juckreiz aus. Als ich das letzte Mal dort war, hatte sich mein Mann verfahren und mein Sohn die Navigation übernommen. Er manövrierte uns wie ein Serienheld mit Vorschlaghammer durch die Diaspora einer Stadt, die dann noch größer erschien, als sie ist. „Vertraut mir, ich weiß, was ich tue“, sagte das Kind mit dem Plan. Wir brauchten zwei Stunden, um aus der Stadt zu kommen. In einem Stadtviertel liefen Hausschweine zwischen den vielleicht zehngeschossigen Wohnblocks auf der Straße umher.


Nun waren wir wieder in Verona. Diesmal das erste Mal, um dort zu nächtigen. Katjas Flug würde zwei Tage später von München abgehen. Zur Sicherheit hatten wir von der Rückfahrt aus Pescara zwei Übernachtungen eingeplant. Die letzte sollte irgendwo in nicht verkehrsanfälliger Umgebung vom Flughafen München sein. Verona bot sich an. Es hätte auch Bozen oder sonst ein Ort sein kann, nur nicht Venedig. Da würde ich, wenn überhaupt, nur noch allein hinfahren. Verona konnte mir niemand zerreden. Ganz im Gegenteil, es könnte nur besser werden. Das liegt allerdings nicht an der wirklich schönen Stadt. Die kann nichts dafür. Wir fanden schnell ein kleines Hotel unweit der Piazza Brà. Es waren nur vierhundert Meter, und wir standen vor der Arena. Die Entfernung war ein Klacks – für Katja und für mich. Die ehemals weißen Leinenturnschuhe meines Sohnes schwitzten Blut. Es war ein bisschen viel für das kleine übergewichtige Kerlchen von einem Meter siebenundachtzig. Dass er auf den ersten Tagen der Hinreise getänzelt hätte, wäre glatt gelogen. Aber er wurde mit jedem Tag schwerfälliger. Er jammerte nie, und seine Schmerzen sah man nur daran, dass sein Gesicht manchmal einfror, als überlegte er, wie das Wetter am nächsten Tag würde. Da Junior keine Anstalten machte und sich nicht beschwerte, war es seine Sache. Gut, er machte einen Anlauf und versuchte es auf der Piazza Brà. „Zieht ihr beide los, ich kann hier auf euch warten. Er wies auf eines der vielen Restaurants auf der Piazza.“

„In Ordnung“, sagte ich zu schnell. So weit kannte ich mich in Verona aus, als dass ich Katja die Highlights zeigen konnte. Das mit dem von Shakespeare beschriebenen Balkon konnte ich in ihrer Situation sogar mehr als nachvollziehen. So wie Katjas Romeo aussah, hatte der weder was mit nach Lerchen noch mit Nachtigallen am Hut, sondern wollte einfach nur sitzen und sein tragisches Ende rauszögern.

„Fein. Ich hocke mich irgendwo hin“, kam seine erleichterte Schnellbestätigung. Er sah sich mit fast gesenktem Kopf um, bis er den nächstbesten Stuhl erspähte und auf ihn zeigte. „Wahrscheinlich genau hier.“ Er ging die fünf letzten Schritte für erhofft einige Stunden und setzte sich auf den zuvor gezeigten Platz.

„Nein, Schatz. Ich denke, du brauchst nicht hier zu sitzen. Ich denke, es ist schön für dich, wenn wir gemeinsam die sehr schöne Stadt ansehen. Du bist mein Maaan.“

Das gefangene, aber noch nicht dressierte Wildtier erhob sich so mühevoll wie langsam, dass ich nur fühlte, seine Knochen einzelnen knacken zu hören. Seinem Schicksal – Katja – treu ergeben, verzog er keine Mine oder kommentierte die Anweisung. Mit dem Gewicht ging er in eine leichte Vorlage, um die Gehbewegung zum Teil seinen Reflexen überlassen zu können. Er war erwachsen und ein großer Kerl. Wenn er keinen Widerstand leistete, war es seine Entscheidung. Ich schwieg und biss mir nicht mal auf die Lippen.

Katja hatte die Arme vor dem Körper verschränkt und beobachtete ihn in der Vorwärtsbewegung. Er war grundsätzlich gut gekleidet. Sportsakko, weißes Hemd, schwarze Leinenhose, durchblutete, ehemals weiße Leinenturnschuhe. Katja sah es fast genauso wie ich. – Fast.

„Schatttz, ich denke, ich kann dich bitten, nie wieder Sportschuhe, wenn ich dabei bin. Nie mehr.“

„Er japste flach nach Luft, zog die Augenbrauen hoch und sagte: „In die anderen Schuhe komme ich nicht mehr rein. Barfuß sollte ich nicht fahren.“

„Schatttz, wir sind nicht in Wagen und andere Schuhe sind viiel besser.“

„Schatz, ich habe es probiert. Du warst dabei. Ich komme da einfach nicht rein“, sagte er in einer mir von ihm unbekannten Ruhe. Davon, sich zu entschuldigen, einen beliebigen Dresscode nicht einzuhalten, war er dennoch weit entfernt. Ich war begeistert. Jedem anderen Menschen hätte er was gehustet. ›Wo ist mein sturer Sohn geblieben? Was has du aus dir machen lassen?‹

„Schatttz, wenn du willst, du kannst.“

Egal wie alt oder wie blöde mein Sohn ist – das Muttertier kam bei mir raus. Ich bremste es und biss mir dann doch auf die Lippen. Ich hatte mir ernsthaft vorgenommen, mit Katja einige Schwiegertochter-Schwiegermutterstunden zu verbringen und mich über Ihre Träume, Hoffnungen, Sorgen und Ängste zu unterhalten. Vielleicht ein wenig shoppen gehen, um ihr zu zeigen, dass ich auf ihrer Seite bin, als Frau, und trotz dessen ich seine Mutter bin. Anders als der Zug, auf den wir trotz Verspätung in Minsk noch warten mussten, war dieser hier – meine Sicht der Dinge betreffend – abgefahren. Ich würde mich raushalten, ihnen Glück wünschen, aber bestimmt nicht vorgeben, die Beziehung für ideal zu halten.

Weiter ging es durch die Via Mazzini. Die Fußgängerstraße führt zu Piazza delle Erbe und ist aus meiner Sicht ein Shoppingparadies für Frauen jeden Alters. Klamotten, Schuhe, Düfte, Unterwäsche. Es war alles da, was man nicht wirklich braucht. Von mir geplant war eigentlich, mit Katja im Gegenwert eines kleinen oder größeren Loches im Portemonnaie Spaß zu haben. Sich über etwas Belangloses freuen, schenken oder beschenkt werden und sich ein wenig hübscher zu fühlen. Frauendinge eben, bei denen kein Mann danach fragt, wozu das nützlich ist. Da sind Mayer-Männer vorbildlich. Sie halten sich raus. Ich fühlte mich auskömmlich attraktiv und es interessierte mich in dem Moment nicht die Bohne, was der Dompteurin Katja gutgetan hätte. In Stimmung, jemanden zu beschenken, war ich seit zehn Minuten nicht mehr. Aber die Straße ist der Hammer. Viele Menschen, teils eilig, teils schlendernd und schleppend – oder parlierend. Ganz anders als in einem Einkaufszentrum, wo man das Gefühl hat, der nächste Gang der Einkaufenden ist Richtung Bahnhof, Parkhaus oder schnell zum Zahnarzt, weil der auch in dem Block sitzt. Auf der Via Mazzini würden die Menschen wahrscheinlich danach einen Espresso oder Cappuccino oder ein Wein trinken, ein Eis essen.

Wir gingen zu dem Balkon von Julia.

›Schön, wirklich seehr schön.‹ Katja war beeindruckt und machte Fotos. Dann noch einige kleine Schlenker in der Stadt und auf der Piazza delle Erbe verabschiedete ich mich, nachdem wir noch gemeinsam gegessen hatten. Es war eine kurze Runde, ich dachte, mein Sohn würde es mir wortlos danken.

Allein – im Sinne von ungestört – setzte ich mich später noch auf die Piazza Brà, sah zur Arena und trank meinen Spritz, während die Sonne unterging.

Einfach einmal eine Nacht drüber schlafen, dann glätten sich die Wogen, sagt man, und bei mir hat er schon häufig funktioniert. Diesmal nicht. In mir kam eine Eiseskälte auf, die das Kommando übernahm. ›Keine Spielchen. Nicht mit mir.‹ Ich war mir sicher, in meiner zukünftigen Schwiegertochter einen nicht unwesentlichen Zug entdeckt zu haben, den ich weder gutheißen noch mir schönreden konnte. Junior kann hinspringen, wohin er will, aber ich springe nicht über meinen Schatten. Ich ging allein frühstücken. Bei mir war das ein Cappuccino und ein Cornetto, ein Croissant. Wir trafen uns zum vereinbarten Zeitpunkt und ging zum Wagen. Mein Sohn hatte noch zwar immer die blutigen Turnschuhe an, aber er trug eine Jeans. Das war im Gesamtoutfit in Anbetracht der Füße gerade noch von ihr geduldet. Auf der Fahrt erzählte Katja, was sie von Verona gesehen hatte an dem Abend: alles. Sie gingen zur Skalierburg und auf die Brücke und dann spazierten sie durch die gesamte Altstadt in der Flussschleife der Etsch. Sie mussten etliche Stunden unterwegs gewesen sein.

„Warum machts du denn so was? Dir bluten die Füße. Du hast Schmerzen. Besser wird davon auch nicht.“

„Anna, es war wirklich sehr, sehr schön. Verona ist sehr schöne Stadt.“

„In der Nacht feierten noch Menschen auf der Piazza delle Erbe, tranken Wein und unterhielten sich. Es war toll. Da kamen richtig italienische Gefühle auf“, sagte mein Sohn mit einer durchsichtigen Gute-Laune-Strategie.

„Und ihr? Wart ihr wenigstens auch da und hast du die Füße geschont?“

„Nein, Katja wollte noch mehr sehen und ich wollte es hinter mich bringen.“

„Schaaatz du hast versprochen, du zeigst mir aaalles. Und du hast Versprechen gehalten. Du siehst, wenn du willst, du kannst.“

„Schatz, du bist eine harte Frau.“

Wir fuhren weiter und ich blieb schweigend. Ein Schatz war keine liebende Frau, und mein Schaaatz von Sohn war ein Idiot. Bis nach München kamen wir gut durch und suchten uns in der Nähe des Flughafens ein Hotel.

Meinungen

Ich bemühe mich um Höflichkeit und Zurückhaltung. Junior ist da sehr viel – ungefragt – direkter. Wie hältst oder siehst Du es?

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