Mit dem Radlader ins Hotel
Taormina, Sizilien
Ich setzte mich kurz an einer Straße auf eine Natursteinmauer. Auf der kaum befahrenen Vulkanaschepiste – es war ein Feldweg mit Steineinfassungen der Ländereien – hielt ein Fahrzeug und der Fahrer fragte, ob er mir helfen könnte. Er öffnete nicht die Tür, denn es gab keine. Er kurbelte nicht das Fenster runter. Wie sollte er es? – Ohne Tür? Besonders sauber war der Wagen nicht. Dem Inhaber schien es mehr um innere Werte zu gehen: Motorleistung und Hydraulikdruck. Er blickte aus seinem Radlader auf mich herab und wartete auf meine Antwort.
„Nein, danke, alles ist gut. Ich bin nur zurück auf dem Weg nach Taormina.“
„Spring auf, ich bring dich hin“, sagte der Mann, der mich nicht aus Unhöflichkeit, sondern aus einer beschleunigten Vertrautheit heraus, schon im zweiten Satz duzte.
„Musst du denn sowieso nach Taormina?“, fragte ich so höflich wie überflüssig.
„Ja“, sagte er und seine Augen verrieten die Gedanken: ›Weiber. Ich fahre hier vorbei und du willst mit mir wirklich darüber diskutieren, ob es auch zufällig genau der Weg ist, den ich sowieso nehmen wollte. Mit dem Radlader in die Stadt? Wohin? Zum Shoppen? Ins Hotel? Zufällig? – Mensch, Mädchen, ich mach hier Erdbewegungen und bin nicht unterwegs zum Baden oder auf einen Espresso. Wenn es für mich nicht okay wäre, dich zu fahren, würde ich’s dir nicht anbieten.‹ Dies sagte er mit seinen Augen, ohne damit zu rollen. Stattdessen schaltete er das grummelnde Aggregat ab, und der Motor schwieg. Er wiederholt seine Einladung, nahm dabei die Hände vom Lenkrad, breite sie fragend und empfangend aus und sagte gelassen – italienischer, als ich es mir nicht vorstellen konnte: „Natürlich Signora. Steigen Sie auf. Bitte.“ Dann wies er mit beiden Händen auf so etwas wie einen provisorischen Sitzplatz seitlich hinter ihm auf dem gelben Körper des Ungetüms. Da drin vermutete ich den Motor, weil neben dem Platz das Auspuffrohr in die Höhe stand. Ich zögerte. Das hatte nichts damit zu tun, dass ich nicht froh war, die Strecke nicht zu Fuß gehen zu müssen. Überhaupt kein Problem war es für mich, in meinem Sommerkleidchen mit einem Arbeitsgerät gefahren zu werden. Ich hatte richtig Lust drauf, obwohl ich nicht unbedingt ein Fan von Abenteuerurlaub bin. ›Herrlich! – Ein kleiner Ausbruch von der Normalität, die da hieße, eine Bushaltestelle zu finden oder mir irgendwie ein Taxi zu organisieren.‹ Mein einziges Problem war, auf das Ding aufzusteigen. Mit den Augen suchend verfolgte ich von der Stelle, die der Sitzplatz sein sollte, mögliche Wege zu mir. ›Zwei Stufen gerade hoch, eine versetzte Zwischenstufe, dabei eine halbe Drehung und hinsetzen. Das könnte klappen.‹ „Sehr gerne, ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit.“ Irgendwie verfalle ich immer wieder in meine Konvention. Wir waren schon per ›du‹, denn ich hatte ihn mit dem Nachhaken genervt, als sei ich seine kleine Schwester. Er ließ es sich nicht anmerken, ganz im Gegenteil. Er sprang wie ein Kavalier von seinem Bock, reichte mir die rechte Hand und geleitete mich mit ihr die Stufen hoch – „Jetzt da festhalten!“ – und stand schützend vor mir, als ich mich umdrehte und setzte. Der Mann in ländlicher Arbeitskleidung, ohne Helm und ohne Warnweste war wohl wirklich nicht im öffentlichen Straßenbau unterwegs. Er sprang wieder hoch, blickte über seine linke Schulter zu mir und sagte: „Festhalten!“, als er den Motor startete.
Erleichtert wie erhaben thronte ich im Damensattel auf dem gelben Ungetüm. Nichts und niemand konnte uns aufhalten. Die gut gezahnte Ladeschaufel voran, rollten wir auf den Wegen zwischen knorrigen Olivenbäumen und Weinreben auf fruchtbaren Grund aus Vulkanasche. Über die kurvigen Straßen hinab und wieder hinauf hielten wir unseren Einzug in die antike Stadt und erklommen den Berg unterhalb des Amphitheaters. Den Einheimischen war es egal, aber einigen Touristen schien bei unserem Anblick der Faden gleichartiger, schöner Taormina-Erinnerungen gerissen zu sein.
Mein gastgebender Fahrer auf dem Radlader erzählte viel und drehte dabei immer wieder den Kopf zu mir. In den engen Straßen, an Bord von so einem Geschütz wäre es mir lieber gewesen, er blickte nach vorne. Es ging alles gut und wir kamen beim Hotel an. Er hielt auf der Vorfahrt, und ich kletterte elegant von dem Gerät, weil er mir – diesmal im Sitzen – erneut die Hand zur Hilfe bot. Wir verabschiedeten uns. Er winkte mir zum Gruß und knatterte fort. Ich winkte ihm nach, als er nicht umdrehte und den Weg zurückfuhr, sondern der Straße weiter in den Sonnenuntergang folgte. Gut, die Richtung stimmte, aber es war noch zu früh für Radlader-Romantik. Er würde gleich unterhalb der Piazza 7 Aprile am Caffè Wunderbar vorbeikommen. Die Mischung an Touristen aus vornehmer oder gewollter Eleganz und der Massentourismus würden ihn nicht sehen – aber hören. Ich drehte mich zum Hotel. Da stand eine Reisegruppe mit ihren Rollkoffern. Sie warteten auf ihren Bus.
Im Hotel wurde irgendetwas hergerichtet. Tische wurden gerückt, Tischwäsche rein- und rausgeschleppt. In der Lobby bewegten sich mehrere gut gekleidete Männer und sahen sich alles an. Auch der Faltenwurf der schweren Damastvorhänge vor und neben den Fenstern wurde in Augenschein genommen. ›Endlich wird das hier auf Vordermann gebracht‹, dachte ich im Vorbeigehen und grüßte einen der Männer, der sich um einen Vorhang kümmerte. Die Handwerker trugen allesamt Anzüge und als der Mann, den ich grüßte, sich mir zuwendete, hatte er die Arme oben und sein Sakko war aufgespreizt, was meinen Blick unweigerlich auf die Schulterhalterung mit seiner Pistole lenkte. Ich wusste immer noch nicht, was sie machten, aber für das Dekorieren selbst schienen andere verantwortlich zu sein. Ich kam mit dem bewaffneten, wie er mir erzählte, Sicherheitsmann ins Plaudern und erfuhr, dass am Abend eine sizilianische Hochzeit in dem Haus stattfinden würde. Unser Gespräch hatte der Hochzeitsplaner, jedenfalls die für die Herrichtung zuständige Person mitbekommen. Er lud mich herzlich zu der Hochzeit ein; allerdings nur zum Empfang.
Eine sizilianische Hochzeit mit halbautomatischen Waffen hat schon was. Die Knarren waren nicht zu sehen und das zauberhafte junge Brautpaar war wirklich sehr jung. Er sah aus wie ein Bubi aus gutem Hause, noch grün hinter den Ohren. Die Braut brauchte vielleicht sogar eine Genehmigung von Amts wegen, um heiraten zu dürfen. Beide sahen aufgeregt und glücklich aus. Die Familienmitglieder – insgesamt waren es beim Empfang etwa einhundertfünfzig Menschen – machten nicht den Eindruck, als würden sie sich Sorgen machen, dass es mit dem Paar nicht gut ginge. Für die Gäste, auch für mich, war ein Tisch mit kleinen Geschenken aufgebaut. Ich habe schon auf vielen Hochzeiten getanzt. Auf dieser nicht. Ich bedankte mich für die Einladung und das Geschenk, wünschte dem Paar viel Glück und verabschiedete mich. Der Teil der sizilianischen Hochzeit, den ich miterleben durfte, hatte einen eigenen Eindruck von etwas elegant-ländlich Festlichem. Für alle Beteiligten war klar, dass aus zwei Familien eine würde.
Auf der Piazza 7 Aprile im Caffè Wunderbar sitzend, trank ich am frühen Abend noch einen Cappuccino. Dessen geschäumte Milch hatte nicht die geringste Chance, frischer zu sein als mein Kaninchen zuvor. Ich dachte an das zauberhafte Brautpaar, das noch im Hotel wenige Hundert Meter entfernt feierte. Klar, dass einem – zumindest mir da Erinnerungen an die eigene Hochzeit kommen. All die Gefühle wie Hoffnungen, der Stolz, gepaart mit Ängsten, der Wunsch nach Sicherheit – denn ich war bei meiner Hochzeit bereits schwanger – schäumten erneut auf. Liebe? Natürlich war es Liebe. Aber in so einem Moment, meinem Moment, wusste ich meine Tränen der Überwältigung nicht einzuordnen. Alle waren sich so sicher. Unsere Leben wurden von anderen geplant und verplant. Nur einer hatte damals schon das Recht dazu. Und er war noch gar nicht auf der Welt. Dass er vorhatte, dieses Recht zeit meines Lebens in Anspruch zu nehmen, konnte ich nicht wissen.
Bei dem italienischen Paar verhielt es völlig anderes als in meiner Situation und der meines Sohnes, seiner Verlobten und ihren Eltern. In unserem Kosmos sah es so aus, als würden aus zwei Familien drei werden und wenn es Zoff untereinander gäbe, sogar vier. Ich meine nicht, dass Katja ihre Familie aufgeben würde. Ganz sicher nicht. Bei meinem Sohn bin ich mir da nicht so sicher. Er ist stur und er kann nachtragend sein. Bei verschiedenen Menschen sind seine roten Linien unterschiedlich, wie Gummibänder dehnbar. Einmal überschritten oder gerissen, neigt er dazu, sich umzudrehen und zu gehen. Wie bei Lumumba damals als Junior neun Jahre alt war. Ich käme damit zurecht, aber ich war mir nicht sicher, ob Katja wirklich eine Ahnung davon hatte, wie wenig flexibel der Typ ist, den sie heiraten wollte.