Mit dem Radlader ins Hotel
Schussfest
Taormina, Sizilien
Als ich in Rage dabei war, ist es mir nie aufgefallen: Natürlich saß sich gerne beim Essen oder einem Cappuccino in Taormina, umgeben von edlen Geschäften und vielen Gestalten und genoss das süße Nichtstun – la dolce far niente. Viel mehr jedoch tigerte ich durch die Landschaft. Ich hasse das Wandern genauso wie Spaziergänge. Das mag unlogisch erscheinen, aber ich habe weder geeignete Wanderkleidung noch entsprechendes, professionelles Schuhwerk. Meine Treter sind bequem, damit ich möglichst spät Blasen an den Füßen bekomme. Auch meine Fortbewegung an sich als Wandern zu bezeichnen, wäre eine Beleidigung für jeden Liebhaber der Tätigkeit und mein Gehen eine Störung für echte Spaziergänger. Ich ballere durch die Gegend, und es ist alles andere, als es aussieht: ziellos. Ich habe immer Ziele. Es fällt nur zumeist schwer, sie auf Anhieb zu finden. In der Region um Taormina gibt es wenig Unterholz und so konnte ich ungehindert Strecke machen.
Ich war auf Nahrungssuche. Der klassische Hoteltourist begnügt sich, statt der eigenständigen Jagd nachzugehen, mit dem Aufsuchen einer Restauration. Das war ich. Auf einem Hügel am Ortsausgang Taormina, rechts hoch, bis sich die Häuser vereinzeln – und dann irgendwie immer weiter, bin ich fündig geworden war. Er schien ein halber Geheimtipp zu sein. – Sogar so geheim, dass niemand einen Tipp bekommen hat. Ich war alleine da. Nach einer herzergreifend trocken-kurzen Begrüßung fragte mich die Wirtin: „Wollen Sie was essen?“
Der Ton war für eine Norddeutsche wie mich wenig beeindruckend rau. „Ja, gerne, wenn es keine Umstände macht“, sagte ich und wartete auf die Karte. Die kam nicht. Stattdessen brachte sie ungebeten und unbestellt eine Karaffe Rotwein, ein Nerello Mascalese. Sie sagte es mir. Das meine ich zumindest – irgendwie beim Hinknallen – aber ich musste später nachschlagen und wurde fündig. Ich hatte noch so etwas wie ›Mascarpone‹ im Ohr. Statt der Karte kam der Wirt heraus und ging an mir vorbei. Er schien auch der Koch zu sein, denn er hatte einen Fetzen, den man mit gutem Willen und ein wenig Fantasie als Kochschürze bezeichnen könnte, umgebunden. In der Hand hatte er weder ein Kochlöffel noch ein Kochmesser. Er trug eine doppelläufige Flinte geschultert. Der Lauf war leicht abgeknickt, weil die Rohre wahrscheinlich nicht geladen waren. Er ging fort, und ich sah ihn nicht mehr. Immer noch kam keine Karte. Dann fiel ein Schuss. Fünf Minuten später kam der Mann des Hauses zurück und hielt ein totes Kaninchen am herunterhängenden, ausgestreckten Arm. ›Das kann nicht sein‹, dachte ich. Aber genau so war es.
Der Ausblick über Taormina, davor die Hänge und dahinter das Meer waren zum Sattsehen. Ich hatte den echten Appetit verloren, genoss stattdessen die Landschaft und vergaß die Zeit. ›Die hätte in jedem Fall nicht für den jüngsten Schuss zur Zubereitung gereicht‹, beschwichtigte ich mich und lernte mit Schrecken, dass für das Abhängen des Wildfangs weder die Geduld noch die ortsübliche Praxis vorhanden war. Irgendwann brachte mir man eine brau glasierte Tonform, eine hochrandige Schüssel mit dem erlegten Tier. Es war nicht fein in einer tomatisierten Soße mit Oliven und Kapern, als ›Coniglio alla Siciliana‹ , dem angebliche Gaumenschmaus regionaler sizilianischen Küche. Das abgezogene und ausgenommene tote Karnickel lag in etwas Olivenöl mit ein paar Rosmarinzweigen, für die sich der Schütze auf dem Rückweg kurz gebeugt hatte. Durch war es. Dass es von der Flamme geküsst wurde, wäre eine glatte Untertreibung gewesen. Verkohlt und zäh lag es im Öl. Das Tier leistete beim einmaligen Kauversuch einen passiven Widerstand.
Nach dem Festessen – dem festen Essen – bedankte ich mich. Ich zahlte den zu geringen Preis für das Tier aber zu hohen für das Essen und ging Richtung Taormina. Es war heiß, ich spürte den Rotwein und hatte den mürben Geschmack der widerspenstigen Nahrung im Mund. Etwas anders gebot als viele Menschen, gehe ich lieber bergab als bergauf. Es fällt mir leichter. Ich war noch nicht weit gegangen und es kam mir doch schon beschwerlich vor.
Meinungen
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