Mit dem Radlader ins Hotel
Heiß –kalt –warm gehalten
Taormina, Sizilien
Vulkane haben schon was. Meine Freundin Nurimitsu, ER war ständig in Sachen Fudschijama unterwegs. In Japan ist der Berg mehr als nur ein cooler Kegel, er ist heilig. Der Vesuv hat es hinter sich, nachdem er Pompeji und Herculaneum begraben hatte. Hinter sich? Vielleicht, denn es sieht eher danach aus, als würden die gesamten Phlegräischen Felder – der Supervulkan bei Neapel – als Nächstes hochgehen. Hoffentlich entspannt es sich langsam wieder. Weder bin ich Vulkangroupie, noch kenne ich mich mit flüssigem Gestein oder Plattenverschiebungen aus. Ganz sicher habe ich mehr Vulkane gesehen oder bin sogar darauf herumgelatscht, als mir gewahr ist. Bestimmt könnte ich mir einreden, dass es etwas mit Kraft, Zerstörung und neuem, guten Boden zu tun hat. Aber eher nein, wenn ich die Gefühle erinnere, als ich abends beim Essen auf der Hotelterrasse mit Blick über die Küste und das Meer bei Taormina auf Sizilien saß. ›Da steht er. Der Ätna.‹ Erst dachte ich nichts konkret Bildhaftes, weil ich den Kopf für die Eindrücke freiräumte. Dann ist der Platz da – und das Gefühl ist doch so einfach – ein Mix aus ruhiger Begeisterung, tiefer Freude und einem Moment der Dankbarkeit. Rauchsäulen, kleinere Ausbrüche und nachts die glühende rote Lava, die sich den Berghang hinunterschiebt. – Alles erlebt und so ist es dann doch nicht verwunderlich, dass ich, die nicht unbedingt dafür bekannt ist, Erinnerungsstücke aus dem Urlaub mitzubringen aus Sizilien vier Teile mitnahm. Drei Stück Lavagestein und einen gewaltigen Pinienzapfen.
›Sieben Tage alleinreisend in Taormina auf Sizilien sind genau richtig.‹ Es gab zuhause wieder einmal generelle, unvereinbare Konflikte, was die Urlaubsziele und die Befüllung der Zeit mit Interessensgebieten belangte. Wir splitteten es, weil ich absonderliche Vorlieben wie Kultur und frühes Aufstehen habe. Sie wollten entweder faulenzen oder es krachen lassen – am liebsten in regem Wechsel. Wenn tagsüber kein seichtes Unterhaltungsprogramm mit Action anstand, schliefen sie vor. Dass es diese Art von Vorbereitung gibt, konnte ich mir vorstellen; – bei Schichtdienst oder bevorstehenden Dauerbelastungen für Körper und Geist. Im Bereich Freizeitgestaltung einem Jetlag präventiv zu begegnen, war mir neu. Einer meiner Bekannten praktizierte ein ähnliches Verfahren, wenn er wusste, dass er am Abend den einen Wein zu viel trinken würde. Es bestellte zum ersten gewerteten Getränk ein Glas Leitungswasser und nahm eine Alka Selzer in weiser Voraussicht eines brummenden Schädels.
Familienurlaub hatte einen enormen Reichtum, als das Kind noch klein war. Als mein Rotzlöffel alt genug war, perspektivisch eine eigene Reproduktion als interessant zu werten, änderte sich die Balance. Wo zuvor die Unterordnung einem höheren Ziel diente, trat ein Missverhältnis der verschiedenen Interessen dreier vollwertiger Teilnehmer an dessen Stelle. Ich kam zu kurz – dann aus anderer Gewohnheit.
Als Ausgleich war ich in der Vorsaison in manchen Jahren allein unterwegs. Sizilien ist so ein Fleckchen Erde, dass mein Herz höherschlagen lässt. Was andere als ›alte Klamotten‹ bezeichnen würden, sehe ich historische Zeugnisse. Was sie als ›Durcheinander‹ abwerten, sind für mich spannende Brennpunkte der Kulturen und chancenreiche Stätten unvergesslicher Erlebnisse. Bei dieser Kompaktheit, dem emotionalen Reichtum, fällt es leicht, es mit allen Sinnen facettenreich zu erinnern.
Der Ätna hatte einen kleineren Ausbruch mit Lavaströmen. „Das hat der dauernd“, kommentierte mein Sohn, als ich ihm den Stein zu Hause zeigte.
„Stimmt schon, aber es ist ein Stück frischen Gesteins von der Eruption.“ „Hast du es gefangen? Wie heiß war das Steinchen? Im Ernst, das kann genauso vom Vorjahr sein.“
„Theoretisch hast du recht, aber es spricht einiges dagegen.“
Ich kam am gebuchten Hotel in Taormina auf Sizilien, der größten Mittelmeerinsel an – und es ging schon gut los. Das Hotel war gut, aber das Zimmer hatte die heimliche Aufschrift: ›hinten raus, klein, lieblos und am Fahrstuhl – genau passend für alleinreisende Frauen.‹ Die schlecht furnierte Tür hatte das Gegenteil von einem einladenden Charakter. Ich ging runter zur Rezeption und beschwerte mich und wollte es tauschen. Nicht zu machen. „Entschuldigen Sie Signora, das Haus ist ausgebucht.“
Ich war drauf und dran, mein Koffer zu nehmen und mir woanders ein Zimmer zu suchen. Ich tat es nur hälftig, denn ich ließ mein Koffer dort und es war eine der klügeren Entscheidungen. Auf der Suche nach einem anderen Hotel mit dem abweisenden Zimmer auf der sicheren Seite hetzte ich durch Taormina, bevor ich den Ort in seiner Schönheit überhaupt wahrnehmen konnte. Schnurstracks bin ich in eine Luxusherberge getigert und habe mich höflichst an der Rezeption erkundigt, ob sie ein Zimmer frei hätten. Die Frage wurde mir nicht direkt beantwortet.
„Entschuldigung Signora, in unserem Haus nehmen wir keine Prostituierten auf.“
›Rumms!‹ Das war eindeutig. Ich bin zwar naiv, aber war nicht so naiv, dass ich mich umgeschaut hätte, ob da ein Schild war, dass gerade ein Kongress der anonymen Bordellbesucher stattfand. Ich war auch nicht entrüstet oder entsetzt, sondern nahm es nur zur Kenntnis – und ging. Weder war ich im Pretty-Woman-Look noch irgendwie anzüglich-lasziv. – Das ist genau der Fehler. Frau fängt dann doch an, darüber nachzudenken, warum ein idiotischer Kerl zu irgendeiner Meinung kommt. Es gibt keinen Grund, nach einer Erklärung zu suchen, auch wenn zu dieser Zeit alleinreisende Frauen in Italien noch nicht an der Tagesordnung waren. Auf diese Weise ließe sich hilfsweise auch mein nach Verachtung anmutendes Zimmer, das ich glücklicherweise nicht aufgegeben hatte, einordnen. ›Na ja, ich bin gerade zwei Stunden hier und habe noch fast eine Woche Zeit, sie mit zurechtzulegen.‹ Am dritten Tag hatten sie es dann eingerichtet und mir, weil „zufällig“ was frei wurde, ein deutliches Upgrade gegeben. Aber es war eben erst der dritte Tag, an dem es funktionierte. Am zweiten Tag gaben sie mir einen dem ersten Zimmer entsprechenden Tisch im Restaurant. Der Katzentisch – klein in der Ecke – der Tisch, den keiner will. Es ging nicht anders, und mir ist durchaus klar, dass Mitarbeiter auch nach Anweisungen handeln, aber sie hätten es besser gekonnt, wenn sie gewollt hätten. Also stauchte ich die ganze Mannschaft vor den Gästen zusammen. Von da an hatte ich den besten Tisch im Haus – vorne am Geländer – mit besagtem Blick aufs Meer und zum Ätna. Sie wussten jetzt, mit wem sie es zu tun hatten. Leider wussten sie es zu gut. Ich hatte sie mir wohl auf Deutsch zur Brust genommen. Sie ließen sich nicht nehmen, es mir auf originelle Art heimzuzahlen. Das hatte sogar ein heimatliches Kolorit. Zu jedem Essen – passend oder unpassend – brachten sie mir – und außer mir niemandem – eine Beilage, die eine Geste des Hauses bezüglich meiner Herkunft sein sollte. Unter einer vernickelten, riesigen Speisehaube stolzierten sie mit der versteckten, so imposant inszenierten Beilage an den Tisch. Beim Lüpfen des Deckels war darunter keine ›Bombe Surprise‹, sondern es waren nackte, geschälte und gekochte Kartoffeln mit etwas Petersilie. Sie zogen es durch und fühlten sich toll dabei. Ich bedankte mich jedes Mal und schickte die Kartoffeln wieder weg. Es war durchaus nicht üblich, im Restaurant das Essen unter einer Warmhalteglocke anzukarren. Da ich den vordersten Platz hatte, kamen die Kellner mit der Glosche an allen Gästen und am Pool vorbei – zu mir – über die gesamte Terrasse.
Die drei Steine, die ich von der Insel mitnahm, sind Vulkangestein von Ausbrüchen verschiedener Jahre und entsprechend unterschiedlichen Verwitterungsgrad. Sie wurden mir geschenkt – direkt auf dem Berg. Er ist nicht besonders schwer zu finden, wenn man ahnt, dass der wunderbare Blick hinunter aufs Meer die falsche Seite ist. Eine schwer zu überbietende Aussicht hatte ich schon zuvor hinter den nordöstlichen Reihen des griechischen Amphitheaters von Taormina. Majestätisch und dominant beherrscht der Vulkan die Kulisse.
Ich ging morgens in Taormina bei der Piazza 7 Aprile, nach einem Cappuccino im Schatten des Caffè Wunderbar los. Bei noch angenehmen Temperaturen etwas über zwanzig Grad in Gegenrichtung des Berges zum Busbahnhof unterhalb der Stadt auf dem schmalen Gehweg abwärts. So zum Greifen nahe der Berg auch erscheint, ist er ein Riese in der Ferne – und für mich nicht mit einem Spaziergang zu erreichen. Warum auch? Busfahren ist für mich wie – Busfahren. Unterwegs begegnete ich zahlreichen Weggefährten. Die einen sahen so aus, als würden sie häufiger und lange wandern. Sie waren bestens ausgerüstet und trugen stabiles Schuhwerk. Die meisten aber erkannte ich als gleichgesinnte Schaulustige des Spektakels. Sie waren mit unpassenden, leichten Tretern unterwegs wie ich. Es ist beeindruckend, welche Kraft der Berg entfaltet. Auf halber Strecke – nicht zum Gipfel, sondern bis zu einem von mit ins Auge gefassten Umkehrpunkt, zu dem ich auch keine Lust mehr hatte zu latschen, kam mir ein aufgeschlossener Mann entgegen und begrüßte mich.
„Hallo, das ist doch fantastisch“, sagte er und wies mit dem Arm zum Berg. Er sprach Deutsch – ich weiß nicht warum – und wir begannen zu plaudern. Bei der Verabschiedung gab er mir ein kleines, mit Poren übersätes Stück schwarzes Gestein als Geschenk und sagte: „Das ist von letzter Woche.“
„Ach ja?“
„Ja. Und der hier ist von neunzehnhunderteinundachtzig.“
„Neunzehnhunderteinundachtzig! Tatsächlich?“ Er ist etwas weniger schwarz, mehr anthrazitfarben.
„Und der hier“, er griff erneut ich seinen kleinen Rucksack, den er schon bei der Begrüßung in die Hand nahm, und zog jetzt einen völlig anderen, braunen, verwitterten Stein raus, der fast wie Sandstein aussieht. „Der ist von neunzehnhundertachtundzwanzig.“
Es sind die Details. Alleine hätte ich nur aufgepasst, nicht auf so ein Ding zu treten, um nicht abzuschmieren. Wenn man einen Spezi dabei hat – dieser war Geologe aus Wien, und ich kannte ihn überhaupt nicht – wird die Datenmenge gleich viel größer und das Gesamtpaket reicher.
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