Willibald und Fieber
Florenz
Ich hatte eine einwöchige Bildungsreise in meine Hauptstadt der italienischen Renaissance unternommen. – Und es hatte sich gelohnt. Allein den David von Michelangelo auf der Piazza della Signoria zu bewundern, ließ mein Herz höherschlagen. Es ist anders, als das Original in der Galleria dell‘Accademia zu sehen und zu spüren. – Ich meine das Fühlen und nicht das Befummeln – also das innerliche Verarbeiten in diesem Fall äußerer Reize. Mir ist völlig wurscht, ob es nur ein eingebildetes oder ein echtes Gefühl ist – aber das Original berührt mich mehr als die Kopie. Details wie die Feinheit der Arbeit oder ob der Stein selbst die Form vorgibt, sind mir zu akademisch. Ich kann es auch überhaupt nicht beurteilen. Es gefällt mir und bereichert mich. Mit Albrecht Dürer kann ich genauso wenig anfangen wie mit etlichen Gemälden oder Plastiken der modernen Kunst.
In Florenz war ich in meinem Element – der Renaissance. Was mich packte, hakte ich nicht ab, sondern sog es auf. Von einem kleinen Stadthotel aus machten wir Rundgänge und gezielte Besuche zu Objekten und Ausstellungen. Mit den anderen in der Gruppe kam ich gut klar und wir hatten reichlich Zeit für eigene Erkundungen. An einem Tag ›schlenderte‹ ich in meinem üblichen Marschtempo ich über die Ponte Vecchio, über den Arno auf die andere Flussseite, um mir dort eine Kirche anzusehen. Das ist nun einmal so: Langsames Gehen gelingt mir nicht. Es ist nie ersichtlich, ob ich mit der Umhängetasche in die Kirche düse, um mir ein Altarbild emotional vorzunehmen, oder ob ich mit der jüngsten Vergangenheit beladen zum Altglascontainer hetze. Lange Auszeiten fallen mir schwer – kurze genieße ich. Auf ein Glas Wein kehrte ich in einem Garten ein, an dem zahlreiche vornehmlich junge Menschen an langen Tischen saßen. An meinem wurde heftig gesprochen. Auf Italienisch versteht sich – und ich verstand es leidlich. Wie sich später herausstellte, waren es Filmschaffende, die ein Projekt besprachen. Sie diskutierten und stritten auf der Suche nach dem Namen des Komponisten. Es fiel der Titel Orpheus und Eurydike. Ich dachte, sie würden sich in die eigenen Hände beißen, weil sie nicht darauf kamen, während sie gestikulierend mit sich lautstark haderten. Ihnen konnte geholfen werden und ich blickte lächelnd, aber nicht siegreich von der Speisekarte des kleinen Bistros auf: „Gluck, Willibald Gluck.“
Wenn Eis da gewesen wäre, es läge jetzt gebrochen oder wäre als Dampf in der Hitze der Liebe menschlichen Erkennens aufgestiegen. Wir erlebten uns in größter Heiterkeit. Zunächst war ich ihnen fremd, doch mit jedem gesprochenen und gesummten Ton wurden wir vertrauter – und mehr. Die Zeit verging und ich machte mir keine Gedanken um mich, das Wohl meiner Familie oder sonst eine theoretische Störgröße. Es war ein Treibenlassen und ein Mitschwingen in einer Situation, die begann, in dem ich nur einen Namen wie den eines britischen Geheimagenten ausgesprochen hatte. „Gluck, Willibald Gluck.“ Von Florenz konnte ich die Kultur in Form von Malerei, Bildhauerei und Architektur erwarten. Die überraschenden Begegnungen stehen weder im Kunst- noch Reiseführer. Ich lasse mich leidenschaftlich gern mitreißen. So auch von dem Zahn, der mir in der gleichen Nacht hochging. Ich wusste nicht, woran es lag, aber ich bekam plötzlich Fieber. Ein Tag hatten wir noch vor uns und den wollte ich durchhalten. Es ging nicht. Nicht alleine. Ich taumelte morgens zum Frühstückstisch und ein Paar in unserer Reisegruppe zog gleichzeitig die Augenbrauen hoch. „Was ist mit dir? Du bist krank. Du hast Fieber.“
„Ich weiß. Verdammt, ich muss den Tag irgendwie durchhalten.“
„Warte einen Moment.“ Die Frau ging – und kam nach fünf Minuten von ihrem Zimmer zurück. Sie legte mir eine Tablette hin und sagte: „Nimm die! Und sobald du zu Hause bis gehst du zum Arzt. Das machst du von alleine, den die Wirkung hält, nicht lange vor. Du musst zum Arzt, aber bis dahin wird es reichen.“ Ich hatte nicht gefragt, was die gute Fee meiner Reisegruppe mir da für eine Tablette gegeben hatte. Aber sie wirkte. Das Paar arbeitete für ein Pharmakonzern. Ich war weder zugedröhnt noch sonst wie beeinträchtigt. Das Fieber war weg. Aber sie hatte recht. Am nächsten Tag ging die Beschwerden wieder los und ich fuhr zu Hause am späten Nachmittag zum Zahnarzt, weil das gute Stück im Flugzeug schmerzauslösend persönlich vorstellig wurde.
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