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Mit dem Radlader ins Hotel

von Marc Krautwedel

Kapitel 31: Venedig zeigen – und vermiesen lassen

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Venedig zeigen – und vermiesen lassen

Venedig zeigen – und vermiesen lassen

Venedig

Mit dem frisch verlobten Glück unterwegs, war die emotionale Auseinandersetzung mit Venedig eine Gangart, die mir alle Zähne des Getriebes zerbröselte. Es begann im Auto.

„Katja, Venedig ist ein Traum. Das musst du gesehen haben“, sagte der Mann, der nur ein einziges Mal als Siebenjähriger dort war. Damals konnte er sich für nichts außer für die Tauben auf dem Markusplatz begeistern. Nun war er erwachsen. In mir keimte die Hoffnung einer späten Affinität, vielleicht sogar Leidenschaft meines Kindes für Kultur auf.

„Die Stadt ist berauschend, Katja. Du wirst sie lieben“, sagte ich und war mir sicher, dass Venedig für die beiden eine Erinnerung bliebe, die nicht untergehen, sondern in Liebe reifen würde. Die Sehnsucht würde geweckt, als Ehepaar oder mit eigener kleiner Familie wiederzukommen.

„Ich möchte alles sehen“, sagte Katja.

„Mach Fotos, denn bald ist die ganze Stadt weg. Abgesoffen“, wusste mein geliebter Sohn zweckdienlich zu kommentieren.

„Schaaaatz, ich denke, du brauchst heute nicht zu schwimmen, auch wenn du jetzt widder kaaanst.“

›Toll, ganz toll‹, dachte ich. ›Die Hoffnung stirbt zuletzt? – Von wegen.‹ Bei mir war sie schon weg, bevor wir an dem Ort des proklamierten Untergangs eintrafen. ›Sie haben sich verdient und sind auf einer Wellenlänge. Schwimmen hatte er wenigstens gelernt und gibt damit an, einen Rettungsschwimmernachweis zu haben. – Was mache ich hier? – Venedig! Mein Venedig! Ich bin fast da und denke weder an Kultur noch an venezianische Lebensart. Stattdessen belatschern mich die Erinnerungen an einen Mann, der als junger Mann vom Wehrdienst kam und mir, seiner Mutter, lang und breit erzählte, wie er in Militärklamotten im Hallenbad Rettungsgriffe gelernt hatte. Für heute lasse ich nichts mehr an mich rankommen. Venedig wird siegen.‹

Wir stellten das Auto im Parkhaus ab und fuhren mit dem Vaporetto Richtung Markusplatz. Ich suchte nach Erinnerungen und fand sie an jeder Ecke. Mein Sohn war damit beschäftigt, seine Verlobte zu fotografieren. Sie liebten es beide, wie ihr Haar im Fahrtwind wehte. Im Bildhintergrund standen die alten Gebäude ihnen schutzlos ausgeliefert am Kanal. Als Kulisse schien die Stadt geeignet zu sein. Ich weiß nicht, welchen Film sie mit Sonnenbrille und lasziven Gesichtsausdruck im Vollprofil nachstellten, Katja als Model und Junior als Starfotograf am Smartphone. „Du siehst umwerfend aus. Ich liebe dich.“ „Iiisch libbe disch.“

Die dem Untergang geweihten Gebäude ertrugen es mit der Gelassenheit von Jahrhunderten im Eichengebälk, auf dem sie ruhen. Ich sah mir das Shooting nur kurz an und widmete mich wieder meiner Liebe. – Nicht lange genug.

„Findet ihr nicht auch, dass es hier vergammelt riecht? Vermutlich faulendes Holz. Das Wasser zieht durch die Wände bis unter die Dächer. Auch unten fault es. Da haben die Balken und Mauern wohl Seegang. Der Hausschwamm dürfte der einzige Einwohner sein, der hier nicht abhaut.“

„Du bist unmöglich. Das ist der Geruch von Meer. Katja, deine zukünftige Braut fährt mit die auf dem Canale Grande durch Venedig, und du, du … – Idiot“, hielt ich dagegen.

„Ich rieche auch“, sagte Katja und meinte ihren Geruchssinn. Mir begann es auch zu stinken. Dafür konnte weder das Wasser noch ein Geruch etwas.

„Umso schlimmer. Dann ist das der Gestank von Algen und Bakterien. Der ganze Teich ist umgekippt.“

„Es riecht überhaupt nicht. Stellt euch nicht so an. Die Stadt ist alt. Seht euch die Gebäude an.“

„Dooch, Aaana. Ich rieche auch. Es riecht gut, seehr gut“, sagte sie überzogen beschwichtigend und lachte, weil sie es anders meinte. Katja roch nie. Sie duftete immer dezent nach Pfirsich. Nie mit Parfüm überladen oder spürbar nachgelegt.

Ihr beschwichtigend-gönnerhaftes Lachen fischte bei mir eine nahe Erinnerung aus dem Keller. Ich hatte das Gefühl, als säßen wir wieder in dem Vorort von Minsk vor der erbarmungslos hilflosen ›Suuupe‹ von Sascha. „Kinder!“, verschärfte ich den Ton, „Das ist Venedig. Ihr seid mittendrin.“

„Typisch Mutter. Aber nur weil es alt ist, muss es nicht automatisch gut sein. Zumindest streichen könnten sie die Dinger schon. Es stinkt, und alles blättert ab. Wenn es da keinen Zusammenhang gibt.“

„Schaatz, Aaana ich finde Stadt sehr schön, wirklich seehr schön“, beendete Katja die Diskussion und das Boot legte an.

Am Markusplatz gingen wir an Land und ich war weiterhin so bescheuert, in Erinnerungen zu schwelgen. Ich steuerte auf das Caffè Florian zu. Wir saßen da – aber es war anders. Nicht weil etwa schon etliche Jahre seit meinem letzten Besuch vergangen waren, sondern weil ich derart zurückgenommen und gehemmt war, dass ich mich selbst nicht erkannte. Die Musik spielte und dem Paar an meinem Tisch gefiel es, ohne dass sie in Begeisterungsstürme ausgebrochen wären. Stattdessen versuchten sie die relativ hohen Getränkepreise in Bezug zu der Einmaligkeit der ›Location‹ zu ›evaluieren‹. Sie kamen auf ein für sie unstrittiges Ergebnis. „Zu teuer. Kann man mal machen. Aber dann ist auch gut.“

„Wollt ihr die Mariä-Himmelfahrt von Tizian sehen?“,war ein Hinweis von mir als einfachstem Kulturreiseführer. Ich war bedient. Die beiden Kenner würden selbst bei der Assunta kleine Farbfehler im Tizianrot entdecken – zumindest aufdecken wollen. Ich wäre draußen geblieben. ›Oh mein Gott. Sie würden mir im Wagen einen Vortag halten, dass sie das schon besser gesehen hätten.‹

„Schatz, möchtest du ein Bild sehen?“

„Nein, Schaatz, in Venedig, ich möchte Bilder machen.“

Auch der Oberkellner war noch da – meine ich. Und ich denke auch, er hat kurz irritiert gewirkt, als er vorbeiging. Er war nicht für unseren Tisch zuständig. Ich wollte mich gleichfalls nicht auf Verdacht auf ihn stürzen. Schon gar nicht mit den Spaßbremsen im Schlepptau.

Ein Klassiker musste folgen. Wir gingen weiter zur Rialtobrücke und Katja wollte hinübergehen, was vollkommen verständlich ist. Ich wartete und Junior stiefelte ihr hinterher. Mittlerweile hatte er einen dreißig Zentimeter breiten Schweißstreifen auf seinem mittelgrauen Sportsakko. Er trug Mokassins ohne Socken und seine Knöchel waren geschwollen wie Pampelmusen. Er musste Schmerzen haben. Aber er ließ sich nichts anmerken, sondern schob ihr hinterher, wohin sie wollte. – Und sie wollte möglichst alles sehen. Ich kann es verstehen und hatte für den Fall der Fälle – der immer eintritt – Pflaster dabei. Bei ihm Materialverschwendung. Junior hatte einfach ein paar Kilo zu viel dabei, und was Bewegung anbelangte, war er aus der Übung. Meine Gedanken waren zwischen ›Sie muss das doch auch sehen‹ und ›Es ist seine Entscheidung‹. Die Schnappschüsse von der Rialtobrücke und dem Canale Grande hatte sie gemacht und wir aßen eine Kleinigkeit auf dem Campo Santo Stefano. Das sollte es mit Venedig gewesen sein. Ich war seitdem nicht mehr da. Es ist schwer, es zu erklären. Mit den beiden war es anders als allein, und zwar völlig anders.

„Katja gefällt Venedig genauso wenig wie mir. Zu voll, zu stinkig, zu teuer“, resümierte mein Sohn.

Das Gefühl, das ich hatte, war fern von desillusioniert zu sein. Es kam dem gleich, dass ein neuartiger, dichter, moderner Nebel sich schwer auf die Realität meiner Vergangenheit legte. In den Momenten sprang ich nicht auf die Züge von Geruch und abgeplatzter Farbe, aber ich fand andere Schwachstellen: Massentourismus, Hektik, Reduzierung der Einwohnerzahlen. Und wenn schon die Einheimischen flüchteten, was sollte ich dann da. Die Strecke zum Auto gingen wir zu Fuß über gefühlt unzählige Brücken. Katja wollte möglichst viel sehen. – Trotz des einvernehmlichen Urteils des Paares.

In Venedig zu übernachten, war nicht vorgesehen. Wir planten eigentlich, an der Adria dann deutlich weiter zu fahren. Ich hatte es ihnen vorher gesagt, aber „Mal eben zwei Stunden Venedig“ ist nicht ganz so leicht umzusetzen. Es wurde mehr als ein halber Tag daraus und wir fuhren weiter nach Ravenna.

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