Ich bin prominent!
Venedig
Im Caffè Florian saß sich auch abends und konnte mich an dem Treiben auf dem Markusplatz, den Lichtern und dem Abendhimmel nicht sattsehen. Mitglieder des moldawischen Staatsorchesters spielten meistens als Quintett klassische Musik. Sie saßen direkt vor dem Lokal und es war wunderbar.
An einem Abend fragte der Oberkellner mich: „Anna, wie gefällt dir die Musik?“
„Ich liebe es. Klar, dass sie hier Vivaldi spielen.“
„Welche Musik hörst du am liebsten?“
Ich überlegte, obwohl es unnötig war. Es war die Kraft der Vorstellung, die bekannte Gedanken herauskramte und mit ihnen neue entstehen ließ. „Am liebsten mag ich Bach.“
Von da an stoppte jedes Mal, sobald ich auf dem Platz um die Ecke geschossen kam und irgendwohin wollte, die Musik. Sie setzte neu ein und die Musiker spielten Johann Sebastian Bach. Lange Haare sind in solchen Situationen von Vorteil. Meine Riesenohren neigen schnell dazu, vor Schamesröte zu glühen. Also: ›Nix wie die Matte vor die leuchtenden Lauscher.‹Ich liebe Gesten der Freundlichkeit – aber das war üppig in allen Belangen. Niemand könnte zurecht behaupten, dass ich elitär wäre. Es ist kein Widerspruch, wenn ein Landei mit uraltem Bauernblut allgemein kulturinteressiert ist. Ich habe auch nichts gegen gutes Benehmen und saubere Wäsche. Das geht auch ohne Orchester auf Nachbars Streuobstwiese. Nicht die Gelegenheit ist es, die eine Sehnsucht weckt.
›Ich finde mich auch toll, aber es gibt nun wirklich keinen Grund, mich hochleben zu lassen‹, dachte ich, als sich aus dem geöffneten Fenster über das Becken von San Marco Richtung Basilika San Giorgio Maggiore blickte. Unter mir die Riva degli Schiavoni, die breite Flaniermeile am Wasser, unterbrochen von großen Kanälen, die mit Brücken gequert werden. Wie so häufig waren zahlreiche Menschen unter meinem Fenster unterwegs, um zu spazieren oder um zu einer der Anlegestellen zu gelangen. Etliche aber standen direkt unterhalb meines Zimmers und winken mir zu. Ich war amüsiert verunsichert. ›Sicher, einige Häuser neben mir ist der Dogenpalast und zweifellos ist es eine feine Ecke.‹ Sie jubelten mir zu, winkten und ich erhob huldvoll die Hand zum Gruß.
›Ich kann es ja mal versuchen. Wenn sie es wollen. Garantiert verwechseln sie mich. Mal ehrlich – wofür halten die mich. Oder für wen. Günstig ist das Hotel wirklich nicht, aber eine Promiabsteige wird das nie werden.‹
In grenzenloser Unwissenheit schloss sich das Fenster und verließ das Hotel Richtung Markusplatz. Ich bog um die Ecke – und die Musik spielte Bach. Im Vorbeigehen grüßte ich artig und ging in eine Kirche, um mir irgendetwas anzusehen. – Irgendetwas? – Mir stockt der Atem und schwillt die Halsschlagader bei der Untertreibung. Es war kein geringeres Meisterwerk als die Assunta von Tizian in der Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari. Und ich sah sie nicht zum ersten Mal. Sattsehen funktioniert irgendwie selten. Ich war nicht da, weil das Gemälde berühmt ist. Es ist berühmt, weil es ausdrucksstark mit- und hinreißt.
Ich spulte dann mein tägliches Programm ab, inklusive dem abendlichen Abschluss im Florian. Beim Hotel angekommen, blieb ich kurz stehen und betrachtete das Haus. ›Was haben die Leute an mir gefunden, als ich da am geöffneten Fenster stand?‹ Ich machte wirklich was her. Modell ›Schmucke Hecke‹. Wenn es für eine Menschenansammlung reichen sollte, wäre ich für immer dageblieben – oder gleich abgehauen. Es hatte wenig mit mir zu tun. – Genaugenommen gar nichts. Unter dem Fenster ist eine große Plakette angebracht. – Sinngemäß: „Hier wohnte Antonio Vivaldi.“
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