Fado, Wagenheber und Zitrone
Portugal und Berlin
Mein erster Blick ging in die Ferne. „Das Ende der Welt. Weiter geht es nicht“, sagte ich in den auflandigen Wind an der Klippe über dem Atlantik stehend. Klar geht es da weiter; damals wie heute. Wie ein Seefahrer stand ich dort. Mit Geist und Seele in Europa verwurzelt, aber überfüllt von Sehnsucht nach der Neuentdeckung in der Ferne. Der Vergleich hinkt. Wenn ich nur von ›Wogen‹ und dem ›Auf und Ab‹ spreche, hängt mein Magen im Keller wie am höchsten Punkt der Reise mit der Riesenschiffsschaukel auf dem Oktoberfest. In Portugal hatte ich festen Grund – der mir gefiel. Am westlichsten Punkt von Festlandeuropa stehend war es einerlei. – Für mich. In den USA war ich bereits gewesen, Madeira und die Azoren sind mir unbekannt. Beim Jahre zurückliegenden Badeurlaub in Maspalomas und den betonierten Konsum- und Sauftempeln in Playa del Ingles kam in mir nicht aufdringlich ein Gefühl von schützenswerter europäischer Kultur auf. Auf geografische oder gar geologische Zuordnungen nehme nur insofern Rücksicht, als dass es sie gibt. Kulturen breite sich aus, bekämpfen sich, verschmelzen, ohne zu zerfließen. Ich weiß nur, dass ich mich am wohlsten in der Natur fühle und am vitalsten in den Brennpunkten verschiedener Meinungen und Orientierungen. Natürlich habe ich über Generationen lokale Bodenhaftung mitbekommen.
In Portugal, am Cabo da Roca ist die alte, meine Welt zu Ende. Dahinter liegen die Sehnsüchte vergangener Tage, die nie völlig erloschen sind.
Eine Rundreise durch das westlichste Land des Kontinents ist eigentlich ein Muss. Ich war zuvor noch nie dort und wollte im Eiltempo von sieben Tagen so viel wie möglich darüber erfahren. Gruppen-Bildungsreisen sind ideal für mich. Es ist die Mischung. Professionelle Leitung und dass man sich nicht um die Navigation und Öffnungszeiten kümmern muss, ist Gold wert. Zeiten für eigene Erkundungen zu haben, und sei es nur, um mit einem Ort warm zu werden, verdichtet die Sehenswürdigkeiten und schafft Raum für Erlebnisse. Die Gruppenzusammensetzung ist dabei nur entscheidend, wenn man es mit sich allein etwas schwieriger aushält und auf Gemeinschaftserlebnisse hofft. Bildungsreisen unterscheiden sich da etwas vom Speed-Sightseeing. Der Anspruch der Teilnehmer ist das Erfahren und nicht ausschließlich das Umfahren oder Durchfahren.
Meine Vorbereitung war auch der Wegbegleiter. Den dicken, roten Reiseführer hatte ich immer in meinem kleinen, eleganten Rucksack, der selbst auf einer Städtetour viel praktischer als eine Damenhandtasche ist. Es war diesmal eine Studienreise der gehobenen Art, wo sich der Preisunterschied hauptsächlich durch das erhöhte Niveau der Beherbergungskosten darstellte. In der Reisegruppe fiel ich mit immerhin schon Anfang vierzig durch eine als unbekümmert, geradezu naiv eingeschätzte Jugend auf. Die Mitreisenden waren allesamt Ehepaare. Sie hatten entweder die Zielgerade eines bisher im höchsten Maße erfolgreichen Arbeitslebens in Sicht – oder sie hatten sie bereits überschritten. Oftmals hatte der knallharte Übergang vom Macher zum Privatier schon Jahre zuvor stattgefunden. Mit wissender Gelassenheit betrachteten sie diejenigen, die sich anstellten, ihnen über die Ziellinie zu folgen. Soweit es in einer Woche möglich war, sind wir durchs Land gefahren. Na ja, ›Portugal in sieben Tagen‹ ist zwangsläufig mit Einschränkungen bei Regionen und Themen verbunden. Wir kamen in der Hauptstadt an, fuhren etwas nach Süden, ohne an die Algarve zu gelangen und bereisten dann den Norden bis zur spanischen Grenze. Lissabon hat einen eigenen Charme. Abgebrannt oder nicht, der Fahrstuhl aus dem Hause Eiffel in die Altstadt hat mich mitgenommen, wie auch das entspannt urbane Treiben in den betagten Kaffeehäusern. Das ist etwas anderes, als sich einen Coffee to go zu holen. Es trifft nicht das Ambiente des Tamoselli in Salzburg oder des Hawelka in Wien. Das ist so wunderbar. Sie haben eine vergleichbare Funktion und erfüllen sie mit der Architektur, der Einrichtung und ihrem lokalen Charme völlig unterschiedlich mit Leben. Ich kannte zwar bereits die Golden Gate Bridge, aber die Brücke über den Tejo ist speziell. Eines der Kaffeehäuser hatte etwas von einer Bibliothek mit Jugendstilelementen. Die edelsten Materialien reichten sich in floraler Harmonie die wohldekorierten steinernen und metallischen Hände. Dort erzählte mir ein Kellner, dass er und andere morgens sehr frühzeitig losfahren, weil der Verkehr auf der Brücke über den Tejo häufig vollständig zum Erliegen kommt. Sollten Sie einmal einigermaßen gut durchkommen, haben sie nach der Querung des Flusses noch ein paar Stunden Zeit, um im Wagen zu schlafen. – Ein ›paar‹ Stunden. – Dementsprechend sind die Autos ausgestattet. Decken, Kleiderbügel mit frischen Hemden, Rasierzeug – das Nötigste halt, um erfrischt und erleichtert bei der Arbeit zu erscheinen. Wir übernachteten zumeist in sogenannten Pousadas; alte Paläste, Klöster, jedenfalls historische Gebäude, die zu Hotels umgebaut worden sind. Die Mischung macht es aus. Bildungsreise und dann auch noch das Übernachten in geschichtsträchtigen Häusern ist für mich schwer zu toppen. Das Gefühl erfahrt keine abrupte Unterbrechung durch die Einkehr in eine Glas-Betonkiste mit Konferenzbestuhlung, idyllisch gelegen an der Autobahnauffahrt.
In Nazaré stand ich am Leuchtturm und blickte auf die hohen Wellen, die links und rechts an die Strände brandeten. Irgendwie kein Wunder, warum so viele Bücher für Frauen eine vermeintlich Gleichgesinnte auf dem Cover abbilden, die aufs Meer hinaussieht. Die sollten mal eine nervöse Frau zeigen, die guckt, ob die Schwimmflügel von ihrem Lieblingskind noch aufgeblasen sind, während sie das Spielzeug einsammelt und von irgendetwas gestochen wird. Wende- und Scheitelpunkte kommen früh genug im Leben und so sicher wie der nächste Wellenberg nur noch als dünner Film die hinten liegenden Sandkörner des Strandes benetzt. Die Einsamkeit hat so viele Gesichter, wie die Sehnsucht nicht zu erkennen vermag. Ich träumte immer davon, einen Leuchtturm zu bewohnen. Allein bei Gewitter und Sturm muss es fantastisch sein. Schlecht erreichbar und mit einer für Monate auskömmlichen Grundversorgung. Schäumende Selbstreflexionen geben mein Gefühl, dort, über die kleinen Schwestern der höchsten Wellen der Welt blickend völlig unzureichend wieder. Sachlich gesehen lief ich zuvor eine anstrengende Steigung fast eine Stunde nach oben. Dabei hatte ich erlösende Momente, als ich auf dem Platz hinter der Klippe angekommen war. Weiter ging dann mit Schulterblick zum Ort Richtung Leuchtturm und wurde mit der Aussicht vielfach für das Gelatsche belohnt. Selbst wenn meine Orientierungslosigkeit den Anschein erwecken kann, dass der Weg das Ziel sei, habe ich überhaupt nichts dagegen, tatsächlich anzukommen. Leuchtturm ist ein großes Wort für das kleine, rote Lichthäuschen. Der Sockel, auf dem es steht, ist etwas beeindruckender. Vorne auf der Klippe hatten sie vor knapp fünfhundert Jahren das Forte São Miguel Acanjo erbaut. Das Gebäude selbst, an anderer Stelle errichtet, hätte mich nicht vom Hocker gehauen. Aber hey, wer würde dort oben auf der Klippe einer schmalen Landzunge, die wie ein Schiffsbug ins Meer reicht und die den Wassermassen trotzt, nicht an den ›König der Welt‹-Ausruf denken. Eisberge waren nicht in Sicht. Und wenn schon. Ich war an Land.
Die Wellen kamen in beachtlicher, aber nicht eindrucksvoller Größe angerollt. Ich hatte nicht erwartet, dass sie so gewaltig wären wie zur Wellenreiter-Hauptsaison, wenn hier die Weltrekorde für die höchsten mit dem Surfbrett abgerittenen Wasserberge übertroffen werden. Die Fischer zogen ihre Boote weit genug an den Strand, dass sie nicht von der zurückfließenden Kraft ins Meer gerissen werden konnten. Zahlreiche junge Menschen tummelten sich sportorientiert vor Ort, was etwas dafür sprach, dass selbst die Wellen der Nebensaison durchaus sportlich attraktiv sind. Nazaré hatte sich auf die Reisenden zu Sport-Hotspots als anderssinniges Äquivalent zur Wallfahrerei eingerichtet. Die Voraussetzung ist eine Laune der Tektonik, bei dem sich eine unterseeische Schlucht von der Tiefsee bis direkt vor Nazaré erstreckt, verjüngt und ausläuft. Nach unten und zur Seite können die Wassermassen nicht ohne horrende Anstrengungen ausweichen. Also bäumen sie sich lieber auf.
Mit meiner Reisegruppe hatte ich eigentlich nur zu den gemeinsamen Essenszeiten zu tun. Meistens, wenn wir bei der ortstypischen Gastronomie, deren Betreiber offensichtlich mit dem Busfahrer näher vertraut waren, einkehrten. Wir sprachen über Eindrücke, das Essen, die Qualität der Hotels und die Ausstattung der Hotelzimmer. Ohne es generell verallgemeinern zu wollen, teilten die Männer mein kulturelles Interesse stärker als ihre Gattinnen. Manchmal waren die Herren der Schöpfung so vorgelesen, dass es fast wirkte, als seien sie vorbelastet und es müsste alles raus; auf einmal. Es kam gestenreich und ungefragt rüber. So hörte ich mir, leidlich interessiert, diesen und jenen Hinweis oder Kurzvortrag über Seefahrer, Altstädte, Kirchen und Tempelritter an. Aber auch die Veredlung durch Lagerung besonderer Traubensäfte von besonderen Böden in speziellen Holzfässern unter noch spezielleren mikroklimatischen Lagerbedingungen an. Natürlich gab es auch eine Portweinverkostung – in Porto – und sogar ich konnte anhand der Farbe beginnen, das Leben des Getränks zu erraten. Die kulturbeflissenen Männer schienen sich gerne mit mir zu unterhalten, während ihren Gemahlinnen das weniger zusagte. Ausgenommen war ein Paar aus Berlin, mit denen ich mich auf Anhieb gut verstanden hatte. Er hatte für einen Macher seines Formates sicherlich einen der interessantesten Jobs, die man haben kann und den er noch einige Jahre ausüben würde. Ein anderes Paar, er Vorstand eines Konzerns, war auch nett – Fehlanzeige. Mit ihr hatte ich es mir schnell verscherzt. Auf die Frage, ob sie mit in eine Bar kommen würden, wo sie den Fado singen und spielten, entschuldigte er sich mit den Worten: „Ich würde ja gern, aber meine Frau will shoppen.“
„Gut, das ist ein Argument. Einkaufen kann man ausschließlich in Lissabon. Zuhause in Berlin ist das unmöglich. Gerade Klamotten von Weltmarken finden sich nicht im KaDeWe oder im La Fayette“, rutsche es mir ungelenk raus. Das La Fayette gab es derzeit noch in Berlin.
Die Dame war sauer und blieb es. Das ist der Mist, wenn man verkrampft ist und vorgibt, etwas zu wollen, noch lästiger, etwas zu sein. Shoppingtour? Einmal Dubai, zwei Selfies und die Sache ist im Kasten. Wer es mag. Ich nicht. Beim gemeinsamen Abendessen und bekömmlichem Wein fühlten sich die Teilnehmer der Reisegruppe – zumindest einige von ihnen – genötigt, ein wenig über Land und Leute herzuziehen.
„Habt ihr auch so beschissene Zimmer?“
Alle außer mir stimmten zu. Sie bestätigten, dass die Hotelzimmer zu klein, zu schlecht und dürftig ausgestattet sind und dass die Sicht aus den Fenstern nicht die beste sei. Auch meine Unterkunft war possierlich und spärlich. Ich wollte darin nicht zwingend flanieren, tanzen oder damit angeben – nur schlafen und das zwar mickrige, aber saubere Bad benutzen. Sie brachten ihre Gesichter und Gemüter zum Glühen. „In Deutschland ist alles besser. Da ist es auf Zack. Da funktioniert es. „Die wissen hier gar nicht, wie man arbeiten kann.“ „Die wollen doch gar nicht arbeiten.“
Unsere Reiseleiterin war Kunststudentin und stammt aus einer alteingesessenen Familie aus Frankfurt am Main. Sie zog die Augenbrauen hoch. Ich bin mir sicher, dass sich bei unserem portugiesischen Busfahrer die Nackenhaare sträubten.
Nach anfänglichem Schock zeigte ich beste Laune und setzte mich an die Spitze. „Ja, genau, wir Deutschen können es. Schließlich haben wir auch der Autobahnen gebaut.“ Ganz böse Falle: Kulturinteressiert oder nicht, beim Thema Auto und seinem Umfeld waren die deutschen Männer in der Pferdestärkenblüte der Verbrennungsmotoren anfällig. Mehr als bei Fehlentscheidungen von Trainern der bevorzugten Fußballmannschaft.
Ein Teil der kulturgetränkten Herren stimmte mir sofort zu. Sie übertönten mich mit den giftgefüllten Blasen ihrer leichtfertigen Meinung. „Unter Adolf wäre das hier nicht passiert.“ Wie sie sagten, so meinten sie es. Anerkennend. Nur unsere Reiseleiterin jüdischen Glaubens wurde blass und der Busfahrer hochrot.
„Scheiß Nazis! Mit euch esse ich nie wieder zusammen.“ Ich stand auf, ging und habe mich nicht mehr zu ihnen gesetzt. Meine neuen Bekannten waren leider oder zum Glück nicht da. Sie waren in der Stadt zum Shoppen. Das scheint Trend bei Bildungsreisen zu sein. Eigentlich schade. Nicht, dass jemand gern auf dem ganzen Planeten zum Einkaufen geht und überall tolle Shoppingerlebnisse hat. Es ist nur überflüssig, dann leidenschaftslos auf Kultur zu ›machen‹. Wie eine Rechtfertigung für Freunde und Nachbarn. Mein Sohn war dereinst in Wien auf Partytour und sein Kumpel musste unbedingt ins Museum, damit er seiner Freundin einen gesellschaftlich anerkannten Reisenachweis erbringen konnte. So jung und schon so verkrampft.
In Coimbra saß ich allein zwischen zumeist Einheimischen in einem Gewölbe und von einer Gitarre begleitet sang eine Frau herzzerreißend den Fado. Ich hielt mein Glas Rotwein, in diesem sich der von Kerzenlicht beschienene Raum, aber auch die Tiefe der Musik und der Stimmung schien widerzuspiegeln. Der Abend war von einer wohligen Melancholie gezeichnet und die Atmosphäre gab sich ausschweifend zurückhaltend. Einige Gäste standen auf, um selbst eine eigene Strophe beizutragen und wie in den Liedern hallte die Stimmung auf dem Heimweg wiederkehrend nach. Nicht beschwingt, aber beseelt ging ich zurück zum Hotel – und konnte meine Zimmertür nicht öffnen. Ich versuchte es einige Male. Es ging nicht. Also bin ich runter zum Portier gegangen und sagte ihm, dass mit meiner Tür etwas nicht stimmen würde.
Er lächelte mich an, griff nach einer Schlüsselkarte und erwiderte zustimmend: „Ich verstehe. Bitte folgen Sie mir.“
Ich folgte ihm. Das Hotel war ein ehemaliger kleiner Palast, dem man die Herkunft an seinen Mauern, aber weder an seiner Ausstattung noch an dem Service ansehen konnte. Wir kamen in meinem Stockwerk an. – Und wir gingen weiter. „Mein Zimmer ist dort.“
Er lächelte mich an. „Bitte folgen Sie mir.“
Ich folgte ihm. Ein Geschoss höher angelangt, öffnete er eine Tür und wir kamen in eine Zimmerflucht, die derart prunkvoll ausgestattet war, wie ich es bisher nicht erlebt hatte.
„Das kann nicht sein.“
Er lächelte abermals. An der Seite lag mein Koffer auf einem Kofferboard. In den antiken Schränken war meine Kleidung akkurat aufgehängt und untergebracht. Im Bad war alles, was ich in meinem vorherigen Zimmer an Schminkutensilien und sonstigem Necessaire hatte, ebenso griffbereit. Und es war exakt so aufgebaut – genau in der gleichen Anordnung, wie ich es mir hingestellt hatte. Der Ausblick war grandios. Ich sah die beleuchtete Altstadt und die Studentenkneipen unten in der Straße. Ein riesiges Himmelbett befand sich mitten im Nachbarraum. Es war alles sauber und alt. Ich fühlte mich in eine andere Zeit versetzt. Blumen steckten arrangiert in einer Vase auf dem Tisch, ebenso wie frisches Obst in einer Schale.
„Was bitte soll das?“
„Nichts Madame“, antwortete er. „Ein Upgrade. Eine Anweisung der Reiseleitung. Gefällt es Ihnen?“
„Es ist ein Traum“, sagte ich.
Er lächelte, verneigte sich und wünsche mir eine angenehme Nacht.
Beim Frühstück hörte ich vom Nachbartisch die andauernden Beschwerden meiner Mitreisenden. Sie sprachen von Unfähigkeiten, Unhöflichkeiten, Schadensersatzforderungen und was auch immer. Ich sagte nichts, denn ich konnte mich wahrlich nicht beschweren.
Mit dem nicht eingeschnappten Paar aus Berlin hatte ich mich weiterhin gut verstanden. Sie war etwas verhaltener, doch es gelang mir, das Gespräch auf die schönen Künste zu lenken. Da schien sie bewandert zu sein und wurde redselig.
Wir mochten uns und tauschten die Adressen aus. Über ein Wiedersehen – sei es bei mir, im Süden Hamburgs oder bei Ihnen in Berlin – hätten wir uns gefreut. Es war nicht so, dass jemand von uns dafür extra eine Reise unternommen hätte. Aber wenn alles passen würde – bei Gelegenheit – träfe man sich › ganz spontan‹. Und so war es.
Berlin
Die Gelegenheit, einander zu treffen, ergab sich bereits im nächsten Jahr. Dass es spontan war, kann ich nicht behaupten. Unverfänglich war es sicher – zumindest bezogen auf den Umstand, dass das Treffen der Hauptgrund meiner Fahrt nacht Berlin war. Ich hatte einen lange bekannten Termin zu einer Tagung. Der Verein, in dem ich Mitglied war, hielt sein Jahrestreffen für drei Tage am Gendarmenmarkt ab. Dementsprechend war auch dort mein Hotel. Das hört sich als geplante Abenteuerreise wenig ambitioniert an. Aber wenn man als Landei – geboren, aufgewachsen und noch immer wohnhaft aus der Ecke südlich von Hamburg – mit dem Golf in die neue Hauptstadt fährt, ist das ein Abenteuer. Sich auf eines der frühen Navigationssysteme mit Schwanenhals und gelben Pfeilen auf blauleuchtendem Grund zu verlassen, hat etwas von Heldentum und Opferbereitschaft. – Ich kann säckeweise Hundetrockenfutter von der Kreisstadt durch die Wiesen zu den gigantischen Hündchen in den Wald karren. Vereiste Straßen und Schneewehen kenne ich. Frisierte Mofas, die mit siebzig Sachen hinter der Hecke aus dem Feldweg schießen, waren mir ungeliebt vertraut, wie Kühe und Hühner auf der Dorfstraße. – Zwischen den Sandbergen am Potsdamer Platz war ich verloren. Inmitten des neuen Berlins, wo vereinzelt die ersten Baukräne standen und die Straßenführung sich jeden Moment änderte, war der Verkehr immens. Die Pfeilrichtung meines Navis sprang alle paar Sekunden um und warnte mich davor, abseits der Straße zu sein. Ich stellte es aus und fuhr nach Gefühl – und verlor Zeit. Die Eröffnungsveranstaltung der Tagung rückte besorgniserregend näher, ohne dass ich die räumliche Distanz verkürzte. Zu Fuß wäre es ein Klacks gewesen. Ich kam immer wieder an den gleichen Stellen raus: den Sandbergen vom Potsdamer Platz. Gut, da mal die Berliner Philharmonie und in Gedanken erfrischen die Namen Scharoun und Karajan kurz das Gemüt, bevor es erneut mitten in die Sandwüste ging. Nicht nervös, sondern genervt beschreibt es mehr als äußeren, denn einen inneren Affekt. In der Verfassung fuhr ich die Straße vom Hotel, eine Einbahnstraße in der Gegenrichtung. Beim Aussteigen wies mich der nette Wagenmeister darauf hin: „Sie sind falsch herum eingefahren. Ihr Wagen steht rückwärts vor unserem Haus.“
„Danke für den sachdienlichen Hinweis“.
Ich drückte ihm meinen Autoschlüssel in die Hand. „Die Fahrt war die Hölle. Den brauche drei Tage nicht. Alles, was drin ist, aufs Zimmer! Anna Mayer ist mein Name. Ich habe reserviert“, sagte die Königin der Sandberge und eilte ins Hotel. Ich setze mich nieder und bestellte mir erst einmal einen Cappuccino in der Lobby. Danach ging es ohne Umschweife zu der Eröffnungsveranstaltung, die ich nicht verpassen wollte.
Das Zusammentreffen mit etlichen Bekannten – darunter auch mir freundschaftlich verbundene Personen – war wie eine frische Brise von Freiheit und ein geistiger Hort des Anstands. Die Umgangsformen waren von freundlichster Natur, größter Zurückhaltung und einem angemessenen Verständnis geprägt. Wenn man im Wald mit Kind und Hunden lebt und auf den Mann wartet, dass er abends von der Arbeit zurückkommt, ist das eine fantastisch andere Welt. Feinfühlig und zart – und doch in der Sache strittig und reizbar. Wir diskutierten und wir herzten uns. Vor der Abendveranstaltung eilte ich zurück ins Hotel, checkte dort formal ein und begab mich aufs Zimmer. Ich traute meinen Augen nicht – lachte noch während des Frischmachens – und bevor ich wieder aus dem Haus düste, blieb ich kurz beim Concierge stehen. „Entschuldigung, ich habe ihren Kollegen gebeten, er soll alles aus dem Wagen aufs Zimmer bringen. Hätten Sie die Freundlichkeit und veranlassten bitte, die Dinge, die offensichtlich nicht auf ein Hotelzimmer gehören – wie zum Beispiel der Wagenheber – wieder in mein Auto zu verbringen? Das wäre wirklich sehr entgegenkommend.“
„Was hat er gemacht? Den Wagenheber?“, entglitt es dem Concierge in ungewöhnlich fassungsloser Manier, nicht imstande, sofort loszuprusten.
„Ich habe ihm gesagt ›alles‹ und er hat es direkt symbolisch umgesetzt. Das Warndreieck und der Verbandskasten sind wohl noch im Auto. Aber mein Benehmen war unnötig genervt.“ Nun lachte der Concierge befreit und seinem roten Kopf sah ich an, dass er, der einen weitreichenden Erfahrungsschatz hinter versiegelten Lippen haben dürfte, einen derartigen Vorgang bisher nicht erlebt hatte. Er, ein an sich sehr zurückhaltender, sogar reservierter, höflicher Mensch, wurde in den drei Tagen zu einem Vertrauten und es stellten sich zwischen uns freundliche Kleinstrituale ein. Das begann schon am nächsten Nachmittag. Ich neige dazu, mir möglichst alles anzusehen und dementsprechend schnell zu laufen. Mit einer Darstellergeste reichte er mir jedes Mal mit ausgestrecktem Arm ein einzelnes Pflaster über den Tresen, wenn ich zurück ins Haus kam. Beim ersten Mal hatte ich danach gefragt.
Mein Aufenthalt blieb unspektakulär ruhig. – Bis auf den zweiten Abend, an dem eine andere Tagungsteilnehmerin, eine Freundin von mir, auch in meinem Zimmer nächtigte. Am sehr frühen Morgen bat ich sie, wieder zu gehen. Sie war supersinnlos beleidigt. Ich habe keine Ahnung, was ihr vorschwebte. Abends begebe ich mich ins Bett und schlafe. Nach einer ›Beste-Freundinnen-Teenager-wir-erzählen-uns-alles-Pyjamaparty stand mir seit meiner Mutterschaft nicht mehr der Sinn. Garniert und verfeinert mit nicht enden wollenden Beziehungsproblemanalysen ältlicher Ehen geht es in Bereiche der Belästigung. Nüchtern ist das nicht zu ertragen. Im alkoholisierten Zustand der Teilnehmer kommt eine emotionale Tiefe dahergeheult, die es gar nicht gibt.
An dem Tag, an dem meine Urlaubsbekanntschaften vom Vorjahr aus Portugal mich abholten, war der Concierge ungewollt ein Puzzleteil von etwas, das mäßig aus dem Ruder lief. Ich beschönige automatisch. Die Vorstellung, dass in einer Situation so etwas wie ein träger Dampfer das Handeln erschwert, ist tröstlich. Das Geschütz direkt auf ein zerstörbares Ziel auszurichten und alle Maschinen auf volle Kraft voraus setzten, hat nichts mit Pech oder einem möglichen Rettungsversuch zu tun.
Es war der dritte und letzte Tagungstag. Sie wohnten in Berlin – im Grunewald. Feinste Ecke in nobler Lage. Ich war auf dem Zimmer, erhielt den Anruf, dass sie in der Lobby warteten, und ich ging runter. Das Hotel schien ihrem Anspruch auf Status entsprechend angemessen zu sein. Wir stiegen in die geräumige Limousine und fuhren zu ihnen nach Hause. Eine vortrefflich repräsentative Villa. Wie man sich das vorstellt, so sah es aus. Filmreif. Stufen, eher war es ein Aufgang, der zum Eingang, dem ein Portal gewidmet war, führte. Akkurat geschnittene Hecken, eine zweiläufig geschwungene Treppe in der Eingangshalle, Fischgrätparkett aus Eichenholz, oben war eine Galerie mit Balustrade. In der Decke, dem Dach über der Halle war ein Glaselement eingelassen. Das war nicht nur ein Dachflächenfenster. Das begehbare Glasdach maß bestimmt zwei mal drei Meter. Jeder Maler hätte so ein Ding gern im Atelier. – Und ich im Schlafzimmer, um nachts die Sterne zu sehen und den Regen prasseln zu hören. Im Schlafzimmer war ich nicht, aber ansonsten bot das Haus das ganze Programm. Sie wussten, wie toll es war und zeigten es gerne. Und ich machte genauso gerne Komplimente der beeindruckten Art, die Stilsicherheit der Eigentümer nicht unerwähnt zu lassen. „Euer Haus zeugt von Geschmack und Stilsicherheit in einer bis ins kleinste Detail durchkomponierten, noblen Eleganz.“ Ganz so ausformuliert hatte ich mich nicht geäußert. Wir gingen durchs Haus. Da bleibt man dran, äußert sich zu allem, stellt Fragen zu Details. Sie hatten den Aufwand und die Kosten. Sie sollten es genießen. Das kommt besser an, als zu fragen: „Wie viel habt ihr dafür hingeblättert?“ Das wäre weder meine Wortwahl noch mein Stil und genauso wenig meine Interessenslage. Den Hinweis, dass der Innenarchitekt sogar zu den Sofas farblich passend eingewickelte Bonbons gefunden hatte, verkniff ich mir. Für die italienischen, stoffbespannten Sitzmöbel selbst fand ich angemessene Worte, wie auch für den Blick in den Garten mit Rasen und einem alten, flankierenden Baumbestand. Alles schien famos zu sein. Im Wohnzimmer stehend dachte ich, es sei nun allmählich genug mit den Konventionen und wir könnten aktiv, vielleicht sogar progressiv an Leben teilnehmen. Da präsentierten sie beide zurecht voller Stolz, ein Originalgemälde von Paula Modersohn-Becker. Es war ein Stillleben von Obst, im Zentrum eine Zitrone. Ich könnte mich heute noch säuerlich beißen, dass ich nicht den Mund gehalten hatte.
„Wie findest du“ – wir waren bereits in Portugal schnell beim ›Du‹ gelandet – „das Gemälde? Es ist ein Modersohn-Becker.“
Es wäre mit wenigen Worten so leicht gewesen, einen schönen Tag mit glücklichen Menschen zu fundamentieren. Ich hatte geringe Kenntnisse über den künstlerischen Gehalt, wusste aber von dem hohen Stellenwert ihrer Arbeiten. Damit war auch der Preis entsprechend üppig. Das interessierte mich überhaupt nicht. Ich mag ihre Malerei, weil sie für mich tiefer geht als die akkuraten Landschaftsdarstellungen ihres Mannes. Ihr Leben, ständig von Sorgen, Krankheit und erleichternden Momenten geprägt, ihre Freundschaft zu Rilke und ihr Verlangen darzustellen und nicht nur abzubilden, berührt mich. Das ohne jede sportliche Ambition. Frei von Talenten hätte ich nur meine geringen Kenntnisse bestätigend äußern können – und sollen. Die Anerkennung ihres Geschmacks und eines uns gemeinsam innewohnenden Kunstverstandes wäre als Selbstgänger in einem Streich in Harmonie aufgegangen. Stattdessen knallte ich ihnen unwissend, aber treffsicher meine Meinung vor den Latz. „Ich liebe ihre Malerei, aber ihr wisst schon, dass die Zitrone auch bei ihr das Symbol von Vergänglichkeit und Tod ist?“
„Unsinn, wie kommst du darauf?“
„Toter Schellfisch mit Zitrone, Selbstbildnis mit Zitrone. Ihr Leben, Krankheit, Paris, Rilke. Ins Wohnzimmer würde ich mir das nicht unbedingt hängen.“
Nun könnte man so einen Kommentar ungeachtet eines Eingeständnisses problemlos übergehen. Man würde entweder über die Malerei an sich reden, die Kritik am Kunstgenuss oder stilistische Fragen erörtern. Aber nein, ich hatte zwei Bekannte, die zu Freunden werden sollten, einfach niedergemetzelt. Das harmlos begonnene Gespräch beerdigte mit sich in Säuernis den gemeinsamen Nachmittag, bevor er richtig begonnen hatte. Sie maulten noch einen Moment unartikuliert. Tatsächlich waren sie restlos bedient. Fast ohne Ausflüchte bugsierten sie die Nestbeschmutzerin – mich, nicht die Zitrone – aus dem Haus zurück in den Wagen und brachten sie zum Hotel. Es war eine Fahrt giftigen Schweigens; – zitronenmäßig angesäuert. Sie versuchten, harmlos bissig gegenüber dem Landei, mir, Weltstadtbürger zu spielen, und begannen sich in der Lobby des Hotels ein wenig mit den Kenntnissen über angeblich bessere Hotels und Restaurants, wo das bretonische Fischfilet nur ein paar Sekunden in Nussbutter geschwenkt wird, aufzuplustern, bevor ihnen komplett die Lust verging. Zum Glück. Ihre Hektik, das Gewinnergrinsen und die Lautstärke wurden schon übergriffig.
Der Concierge stand hinter seinem Tresen. Mit ausgestrecktem, langem Arm hielt er ein Pflaster zwischen seinen Fingern, streckte es mir entgegen und rief freudig: „Willkommen zurück. Gehts gleich weiter?“
In diesem Zusammenhang machte für mich zum ersten Mal das Wort ›fluchtartig‹ wirklich Sinn. Während sie sich kurz angebunden verabschiedeten, um sich dann aufrechten Ganges auf den Weg zu machen, waren ihre Gemüter bereits durch die Drehtrommeltür ins Freie gerauscht. Die seelenlosen Hüllen folgten. Der Concierge konnte es nicht wissen. Nicht, dass ich rücksichtsvoller hätte sein sollen, sondern dass ich kaum zu Fuß unterwegs gewesen war. Das Pflaster habe ich zur Sicherheit trotzdem genommen. Man weiß ja nie. – Und ich hatte noch eine Abendveranstaltung mit den von mir geliebten Menschen vor mir. Mit einem längeren Fußmarsch rechnete ich eher nicht. Es war eine Filmvorstellung zu dem Thema, das wir bearbeiteten, dem wir unsere Zeit und Auseinandersetzungen seit Jahren einige von uns seit Jahrzehnten widmeten. Wir erwarteten den Film mit eigenen Vorstellungen über den Grad an ›Echtheit‹ und die Fülle an zu filternden Informationen und Darstellungen. Es war ein Event. Auch Schauspieler waren zugegen. Einem der Veranstaltungsteilnehmer bin ich sehr verbunden. Er hatte sich extra urban gekleidet. Seine Ausdrucksweise ließ etwas zu wünschen übrig. In einem Berliner Kiez wäre ein Gespräch mit ihm etwas schräg angekommen. Aber er konnte schweigen – sehr gut sogar. Sein Outfit wählte er seinem Alter entsprechend aus. Jung-dynamisch – in Jeans und T-Shirt, um nicht unbedingt gleich als Hardcore-Geistlicher aufzufallen.
„Anna, den Mönch sieht man mir doch nicht an, oder?“
„Nein, ganz und gar nicht. Wie kommst du auf den Gedanken? Barfuß in geschnürten Sandalen ist hier absolut üblich und das riesige Holzkreuz, das du vor der Brust trägst, fällt überhaupt nicht auf. Als Kapuzinermönch erkennt dich hier keiner und eine Sabbeltasche bist du wirklich nicht. “ Vielleicht lag ich falsch – mit der Ironie – und es interessierte wirklich niemanden. Ein anderer, mittlerweile verstorbener Freund von mir war begeistert vom Film und bat einen Schauspieler um ein Autogramm. Er hätte sich sicherlich auch über ein Gespräch bezüglich der Einarbeitung in die Biografie der Rolle gefreut. Er, der Sprachwissenschaftler Ende siebzig, war interessiert; nicht nur in seinem Fachgebiet den alten Schriften.
„Wenn da jeder käme. Nein, dafür habe ich keine Zeit“, kanzelte das Bürschchen Mitte vierzig meinen Freund ab.
Nur so viel sei gesagt: Den Mimen habe ich dann gebügelt, bis sein Gesicht noch nach dem Gegenwind gestaltgebend flatterte, dass es wirklich einer schauspielerischen Glanzleistung nahekäme, wenn es seinerseits gewollt gewesen wäre. Ich hoffe, er konnte die emotionale Erinnerung für die Zukunft nutzen. Bei den Grundlagen für ›Method Acting‹ helfe ich gern.
Mit Erinnerungen und neuen Lieben gurkte ich zurück Richtung Hamburg. Der Gendarmenmarkt, Unter den Linden, aber ehrlicherweise auch die tolle Lebensmittelabteilung des ›Kaufhaus des Westens‹, KaDeWe, blieben hängen. Für mich ist Berlin immer noch maßstäblich.
New York hat in meinen Vorstellungen von Großstadt einen Sonderstatus. Ich spreche ausschließlich von Manhattan. Newark und Queens habe ich nur gesehen, aber durch Manhattan tigerte ich süchtig nach Eindrücken. Das Hotelzimmer hoch oben, direkt über dem Times Square war kurz vor Weihnachten meine Basisstation. Zu den Meetings, zu denen ich angemeldet war, bin ich nicht gegangen. Aber an Veranstaltungen wie eine Broadwayshow, die eigentlich im Programm für Begleitpersonen standen, nahm ich teil. Irgendwie war ich ja Begleitung. Ich bin immer bei mir, selbst wenn ich kurz daneben stehe. Komisch, dass ich mich nicht ein einziges Mal in Manhattan verlief. Mir liegen die durchnummerierten Straßen und die Aufteilung in Blocks. Dass ich den Weg nicht immer wusste, versteht sich bei mir sowieso von selbst.
Sonntags wollte mitten ich in New York in eine Kirche gehen und fand die gesuchte nicht. Die Stadt war wie leer gefegt. Es war kalt und es war der zweite Advent. Zwei einsame Reiter kamen gemächlich die ›Dorfstraße‹, die 5th Avenue, entgegen. Die Männer von der berittenen Polizei New York fragten mich, ob sie mir helfen könnten und ich sagte ihnen, dass ich die St. Patrick's Cathedral suchte. Sie begleiteten mich einige Meter und wiesen dann auf die zwischen den Hochhäusern zierlich wirkende Kathedrale. In der Kirche war es gerammelt voll mit Menschen, Licht und Feierlichkeit. Sie rückten zusammen und boten mir einen Platz an. Nach dem Gottesdienst kam ich mit einigen in ein Gespräch, das von gegenseitigem Interesse und größter Freundlichkeit geprägt war. Es hatte tatsächlich etwas Kleinstädtisches, wenn nicht Dörfliches an sich. – in Manhattan, ›The Village‹.
Natürlich ist die Urbanität von Berlin beeindruckend, und ganz sicher verstehe ich – unabhängig vom Alter – Großstadtmenschen, die keine zehn Pferde aufs Land bringen könnten. Das sind verschiedene Welten. Kreisstadt bleibt Kreisstadt. Wenn ich wohne, trete ich dort, wo es passiert, in Beziehungen ein. Nicht wenigen zugereisten Nachbarn, die ›rausgezogen‹ waren, um das Landleben zu genießen, hatten es nicht ausgehalten. Wer sich von Frühstücksszenen in der Fernsehwerbung für Marmelade, Butter, Milch und Honig beeindrucken ließ, wurde von fehlender Infrastruktur, geringer Bevölkerungsdichte und den Jahreszeiten überrascht. Es ist übersichtlich. Zurück auf Autobahnen, Bundes- und Kreisstraßen verschluckte sich auch mein Navigationssystem nicht mehr.
Manchmal ist es vielleicht besser, wenn Urlaubsbekanntschaften angenehme Erinnerungen bleiben. Das Aufwärmen kann voll daneben gehen. In diesem Fall lag der Fehler sicher bei mir. Eine Freundschaft hätte meinen Fehltritt in die Direktheit ausgehalten. Das gegenseitige Wahrnehmen unserer Eigenarten hätte Farbe und Inhalte ins Spiel gebracht. Aus Bekanntschaften, die sich im Urlaub ergaben, ist in meinem Fall nicht eine einzige Freundschaft entstanden. Zumindest nicht in den Fällen mit anderen Urlaubern und den gegenseitigen Besuchen, um die Beziehung zu vertiefen oder zumindest zu konservieren.
Junior machte es unbeabsichtigt umgekehrt. Die Beziehung mit Katja begann und sie besuchte ihn einige Male. Nun holte er Katja ab und sie waren in Begriff, ihr Verhältnis zueinander im Urlaub zu vertiefen. Die partnerschaftliche Reise, ihre Liebe mit Inhalten zu füllen, hatte gerade erst begonnen. – ›Warum muss ich das aus der ersten Reihe miterleben?‹ Die Tage in Lüneburg bis zur Weiterfahrt mit dem Auto gaben mir eine Verschnaufpause mit zumindest etwas räumlicher Distanz.
Meinungen
Ich liebe Portugal. Und Du?
Reisegruppen sind nicht immer im Einklang. Was hast Du erlebt?
Was war die lustig „unverschämteste“ Situation, die Du mit Hotelpersonal hattest?
Bist Du auch schon in ein Fettnäpfchen getreten, wodurch eine lockere Beziehung zerbrach?
Sonstige Bemerkungen?