Lauschkommando
Landkreis Harburg & Lüneburg
Es gab genauso wenig damals etwas zu verheimlichen, als ich in meinem eigenen Haus abgehört wurde. Wir hatten es zufällig erfahren, nachdem der Vater meines Kindes nach einer Lösung in einem früheren Klassiker der Probleme bei Unterhaltungselektronik suchte. Immer wieder gab es Bildstörungen im Fernseher; zu bestimmten Zeiten. Mein Mann fummelte an der Sendereinstellung, überprüfte Kabel und Antenne. Alles war in Ordnung. Durch Ausschluss einzelner Verdächtiger kam er zu einem Ergebnis:
„Es liegt am Videorekorder.“
„Daran kann es nicht liegen. Den benutzen wir doch überhaupt nicht mehr. Was ich sehen will, wird sowieso ständig auf den Dritten wiederholt. Im Hauptprogramm läuft pausenlos dein gewaltverherrlichendes Zeug.“
„›Rambo‹ ist ein Klassiker. Selbst wenn der Rekorder nicht in Betrieb ist, geht das Antennensignal da durch und zum Fernseher.“
„Dann lass ihn weg.“
„Das ist keine Lösung. Es muss am Kabel liegen. Ich besorge ein neues.“
„Mach was du willst, Liebling, nur bastel bitte nicht rum, wenn ich Herzkino sehen möchte.“
Von da an gab es keine Probleme mehr im Hause Mayer. Der Fernseher lief und der Videorekorder war nicht mit ihm verbunden, stand aber noch an seinem Platz darunter, und er zeigte mit den cyanblauen Leuchtdioden wunderbar die Uhrzeit an.
Eine Freundin von mir, der ich in irgendeinem belanglosen Zusammenhang davon erzählt hatte – wahrscheinlich sprachen wir über Männer und Technik – war nicht überrascht.
„Ihr werdet abgehört“, stellte sie frei heraus fest.
„Unsinn, Eva, wie kommst du darauf? Er hat am Fernseher gestöpselt und nicht am Radio.“
„Stefan sagt, dass Bildstörungen öfter vorkommen, wenn ein Abhörgerät im Videorekorder versteckt ist.“
„Klar, dein Mustergatte ist bei der Polizei und kennt sich mit Dingen aus, die Männer spannend finden. Aber ich glaube kaum, dass jemand ein Videorekorder vorbeibringt, damit die Beamten eine Wanze suchen und ausbauen. Wer sollte ein Interesse daran haben, uns abzuhören?“
„Anna, die Polizei baut sie nicht aus. Sie bauen die Dinger ein. Du bist vielleicht naiv.“
„Okay. Aber wir hatten noch nie Polizei im Haus.“ Ich sagte es unüberlegt. Sicher hatten wir schon Besuch von Beamten. Bei einem Einbruchsversuch in unseren Keller über einen Lichtschacht rief ich bei der Polizei an. Eine halbe Stunde später bekam ich einen Rückruf aufs Festnetz. Die Beamten konnten die Adresse nicht finden. Ich lotste sie am Telefon durchs Dorf. Trösten brauchte ich sie glücklicherweise nicht. In der Nachbarschaft war mehr los. In der Weihnachtszeit warteten Beamte vor Nachbars Haus auf ihn. Er hatte seinen Wagen an der Autobahnauffahrt auf der Wiese stehen – besser gesagt – liegen gelassen. Die angeheiterte Flucht zu Fuß brachte ihn erst über dienstliche Umwege in die Arme seiner Frau. Bei einem anderen Nachbarn wurde eingebrochen, als sie im Urlaub waren – dachte ich. Fremde schleppten Dinge aus dem Haus. Ich tat, was ein anständiger Bürger tut. Ich rief – meine mannshohe Deutsche Dogge – sperrte das Riesentier ins Haus und strotzte rüber, um mir die Jungs vorzunehmen. Einer der Männer empfing mich. Er war leicht geschockt und erbost über meine verbale Attacke und körperliche Kampfbereitschaft. Dennoch höre er mir zu, bevor er selbst zu Wort kam: „Haben Sie noch alle Latten am Zaun? Ich bin der Bruder.“ Als Kommissar bei der Kripo erlaube ich mir, Sie darauf hinzuweisen, dass es nicht nur entsetzlich blöde, sondern auch gefährlich ist, einfach loszutigern und selbst einzuschreiten.
Sonst gab es keine Polizeianwesenheit in meinem Umfeld. Na ja, da fiel mir eine klitzekleine Begebenheit ein, die sich sogar nach Reiseerlebnis anfühlte.
Wir waren, wenn auch nur auf kurzer Strecke, unterwegs zu einem anderen Ort. Das ›Nötigste‹ hatten wir gepackt. Gut, mein Mann ist drei Stunden vor mir gereist und wir wollten nicht zurückkehren. Der Urlaub war ein Zwanzig-Kilometer-Umzug nach Lüneburg. „Beim Einzug war etwas Trubel.“, wusste ich dann doch Eva zu berichten. Es gab sogar ein mögliches Motiv für eine Überwachung. Den Anlass haben wir nie erfahren, aber er muss haltlos gewesen sein. Mein Mann hatte auf Großbaustellen auch englische Subunternehmer beschäftigt. Das und eine sich ständig verändernde Gesetzeslage innerhalb der Europäischen Union, um Lücken von Arbeitnehmerüberlassung, Scheinselbstständigkeit und Briefkastenfirmen zu schließen, war Grund, insbesondere für den Zoll, sich zu interessieren.
Genau am Umzugstag, kurz nach Ostern, hoppelten eine Handvoll Kombis und Mannschaftswagen – alle direkt hintereinander – auf dem Waldweg mit ausgespülten Schlaglöchern an. Es hatte etwas von den Krimis mit den hüpfenden Autos mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit auf den buckeligen Straßen von San Francisco. Beim Bild, das sich mir zeigte, musste ich Abstriche in der B-Note machen. Sie konnten nichts dafür. Die Piste bei uns gab nicht mehr Sprunghöhe als ein zittriges Wippen her. Es waren ja keine Buckel, sondern Dellen, die einen dennoch gut durchschütteln konnten. Ich befand mich zwischen unserem Auszugshaus und der Garage vor der mein Golf mit geöffneten Türen parkte, bereit aufzubrechen. Ich schleppte eine rote Plastik-Transportgitterbox mit Dingen, die ich beim Einzug gleich zur Hand haben wollte. Die Hunde waren mit meinem Mann vorausgefahren.
Vor dem Grundstück konnten alle Wagen Platz nehmen. Sie standen fast zeitgleich in ihrer Reihung. Die Beamten von Zoll und Polizei stiegen aus und zupften noch etwas an ihren schusshemmenden Westen. Dann öffneten sie die Gartentür und betraten das Anwesen mit der umzugsgeplagten Ruine eines vormals adretten Architektenhauses mit Pultdach.
„Gott zum Gruß, was ist euer Begehr?“, habe ich nicht gesagt, als sie die Schlossauffahrt in Form des zehn Meter langen selbstverlegten Sechskant-Betonpflasterweges die Steigung von zwölf Zentimetern hinaufkamen. Die jungen Männer waren einsatzmäßig voll uniformiert, schwer bewaffnet und nicht zum Plaudern aufgelegt. Fragen hatten sie dennoch.
„Wo sind die ganzen Sachen? Verdammt, das Haus ist leer.“
„In Kartons auf dem Weg nach Lüneburg. Sie sind seit zehn Minuten weg, also in zwanzig da. Wir ziehen um.“
„Verdammt! Kollegen, warum wissen wir das nicht?“, fluchte er und ging weg, um zu telefonieren. Gute Entscheidung, denn ich hatte auch an jenem Tag nichts mit deren Einsatzplanung zu tun. Der Umzug reichte mir.
Ein anderer Beamter sagte zu mir: „Sie bleiben hier!“
„Und wenn ich nicht will und gehe?“
„Dann setzen wir Sie mit Handschellen da fest.“ Er zeigte zu einem angeschraubten Regal, das im Haus blieb. Es war ein Holzregal, bei denen die Regalböden in Pfosten, die wie Leitern mit ihren Sprossen von der Wand abstanden, eingeschoben waren. In der Auszugshütte mit dem modernen Look war das super. Es waren eigentlich Kiefernholz-Kellerregale der gehobenen Art. Bei uns standen sie in Wohn- und Arbeitszimmer. Stilistisch wurde es mit allen anderen Möbeln, die wir in den fünfundzwanzig Jahren ausgetauscht hatten, ›designmäßig‹ und vom Preis her hochwertiger, beziehungsweise teurer. Die Regale blieben. Ein einziges Mal, als das ganze Haus wegen eines Dach- und Wasserschadens, der kein Versicherungsfall war, renoviert wurde, erhielten sie einen lichtgrauen Anstrich. In der neuen, denkmalgeschützten Residenz passten die Regale nicht zum Stuck und zu dem Kronleuchterambiente.
„Wo wollen Sie mich anschnallen? Am leeren Bücherregal?“
Die maskulinen Vertreter der Mayer-Familie waren in Lüneburg, um die Umzugswagen in Empfang zu nehmen. Wenig später kam auch da eine Truppe mit Maschinenpistolen an, um beim Einzug zu helfen. Mein Mann hatte eine nicht gänzlich unbelastete Beziehung zu Ordnungshütern. Nicht, dass er nicht rechtschaffen gewesen wäre. Als Student wurde er auf einer friedlichen Demonstration – in Buxtehude, so abwegig es vorstellbar ist – von Polizisten niedergeknüppelt. Nun waren zwanzig schwer bewaffnete Männer bei ihm. In seinen Händen, die er brav unten hielt, so sehr es ihn juckte, erweichte und verdampfte er die Gemüter. Junior erzählte mir später, mit gebotener Coolness, jedes Detail. Der Kerl, den ich viele Jahre zuvor geehelicht hatte, fand zumindest Gelegenheit, den Leiter des Kommandos leidenschaftslos in Stress zu versetzen. Mein Mann spielte mit ihm, wie eine Katze mit der Maus.
„Wie? Womit?“ waren die berechtigten Fragen an meinen Sohn.“
„Mit allem, was Dad draufhat, außer hinzulangen. Er ging durchs Haus und hat den Einsatzleiter hinterhertigern lassen, duzte ihn, verhöhnte sie, lachte, telefonierte, fragte sie nach Namen und dem Grad der fachlichen Inkompetenz. Der Beamte war so fertig, dass nicht nur seine Stimme zitterte. Glückwunsch Mutter, dein Mann ist ein Sonnenschein.“
„Wenn ihr euch einig seid, muss es ja wohl wahr sein.“
Das Büro in Hamburg wurde auch durchsucht, genauso wie Baustellen in München und Frankfurt. In Lüneburg könnten sie wenigstens die ankommenden Umzugskartons inspizieren. Im Büro standen tausend Aktenordner bis unter die Decke. Nur bei mir war ein bisschen wenig los. Ich wollte weg, ging auf den Wagen zu, und sie griffen nach Strohhalmen.
„Was ist in dem Auto?“, fragte der junge Mann in Schutzzeug und gepflegter Bewaffnung die Frau, die sich schnellstmöglich vom Acker machen wollte – damit sie sich um die Hunde kümmern konnte. Die kläffenden Zaubermäuse kamen leidlich mit meinen Männern zurecht, waren aber routine- und ordnungsliebend. Ich musste mich keinen Illusionen hingeben: Für die gesicherte Fütterung durfte ich als fester Baustein im Haus ihrer Vorstellungswelt herhalten. Wenn die Frage nach dem Wagen die letzte Detektivarbeit gewesen wäre, und hätte ich endlich losfahren können.
„Was soll da schon drin sein? Ich fahre jetzt. Sie halten den ganzen Laden auf.“ – Mit einer blühenden Fantasie gelänge es, mein Drängeln auch als Wille zum Abhauen zu interpretieren. Vielleicht hatte der Beamte zu viele Krimis gesehen und hielt den Golf für einen getunten Fluchtwagen mit Lachgaseinspritzung, damit er richtig Schub bekäme.
„Kaffeemaschine, Kaffee, Filtertüten, Hundefutter, Kotbeutel, Putzmittel.“ Ich hatte eben alles dabei, was man auf der Flucht so mitführt. Alles bereit für die Verfolgungsjagd auf der Bundesstraße 4. Das Überholen landwirtschaftlicher Nutzfahrzeuge? Ich war bereit. Die gefährlichen Stellen mit überirdisch viel Fahrschulanfängern? Ich war hellwach.
„Und im Handschuhfach?“
„Das ist persönlich und hat auch mit meiner Überzeugung des menschlichen Zusammenwirkens zu tun.“
Er öffnete das Fach. Ein Blick, und das Thema war gegessen.
Nun war bei mir zu Hause klar, dass aus dem Krimi eine Komödie wurde. Zumindest hatten wir einen kompletten Tag lang eine gefühlte Hundertschaft von vierzehn Leuten des Zolls und der Polizei im frisch restaurierten Denkmal, in das wir erinnerungswürdig einzogen. Natürlich hätte jemand Gelegenheit gehabt, da eine Wanze – zum Beispiel im Videorekorder – zu verstecken. Die Beamten waren ja dabei, als die Möbelpacker gemäß den Markierungen alles dorthin stellten, wo es hinsollte.
Im Ergebnis lief die ganze Aktion ins Leere und war beendet. Es gab keine Anklage oder offiziellen Bericht; nichts. Gut, im Nachhinein dann zumindest das Mikrofon in der Unterhaltungselektronik. Das bisher für alle Beteiligten unnütze Gerät habe ich meiner Reinigungshilfe geschenkt. Es hatte in Betrieb nur mein Fernsehbild verhagelt. Und für die Überwacher kamen nur Ehegespräche raus.
Zuvor machte ich im Wohnzimmer eine Durchsage: „Liebe Mithörer. Das Programm wird an anderer Stelle fortgesetzt. Wir danken Ihnen für die Aufmerksamkeit und wünschen gute Unterhaltung und viel Spaß.“ An solchen Gelegenheiten labe ich mich.
Meine Haushaltshilfe hatte kein Geheimnis aus ihrem aktiven Sexualleben gemacht. So hatten jetzt auch andere zumindest akustische Teilhabe.
Was sollte der weißrussische Staatsapparat Bewegendes hören, wenn mein Sohn und seine zukünftige Braut sich eine Woche lang im Hotelzimmer vergnügten?
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