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Mit dem Radlader ins Hotel

von Marc Krautwedel

Kapitel 20: Freiheitskämpfer mit leichtem Geb(p)äck

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Freiheitskämpfer mit leichtem Geb(p)äck

Freiheitskämpfer mit leichtem Geb(p)äck

Minsk


Ich bin ungerecht. Meine Vorstellungen entspringen weniger einer feinen Herkunft als einem entschlossenen Selbstverständnis. Es ist das, was ich von mir erwarte. Angemessen, sinnvoll oder richtig? Es bleibt ein Restrisiko. Als Elterngeneration spielt es sowieso keine Rolle. Die Kinder müssen miteinander klarkommen und deren Elternpaare würden sich entweder verstehen, zusammenraufen und den Kontakt pflegen, um das junge Glück nicht zu behindern, sondern zu fördern. Wie es aussah, würde die nächste Generation nicht lange auf sich warten lassen. ›Oh mein Gott! Ich – eine Großmutter! Dann geht es weiter. Nur das ›Mami‹ geht in die nächste Runde. ›Oma hier, Oma da.‹ Bei jeder Gelegenheit würden die Kinder bei mir zwischengeparkt werden, und die anderen Alten sind Lichtjahre entfernt. Egal, es ist entschieden‹, dachte ich.

Katjas Koffer waren gepackt und bereits im Hotel. Sie hatte eine kleine Wohnung in Minsk, die ihrer Großmutter gehörte. Es war das saubere und aufgeräumte Apartment einer jungen Frau. Was sie hatte, liebte und pflegte sie. Das einzig Auffällige für mich war die doppelte Eingangstür. Eine zusätzliche Stahltür, Türspion und stählernem Sperrriegel innen hätte ich eher in Chicago erwartet. In einem Land, in dem Vergehen als Verbrechen verurteilt werden, wenn es der Obrigkeit genehm ist, vermutete ich keine Kriminalität, außer vielleicht Verzweiflungstaten. Katjas Katze war bei ihrer Großmutter. Sie ließ sie nicht gern zurück, doch ihr zukünftiger Ehemann hat eine Katzenallergie, genau wie ich. Sie hatte versucht, uns dazu zu bewegen, in Behandlung mit Dauermedikation zu gehen. ›Sorry, Kleines‹, da war nichts zu machen. Die Chance auf asthmatische Anfälle hielt jede Begeisterung für Experimente in Grenzen. Die Großmutter sollte, sagte Katja, frappierende Ähnlichkeit mit mir haben. Angeblich ist sie eine strenge, korrekte Frau. Kennengelernt habe ich sie nicht. Mein vermeintliches weißrussisches Pendant schien in der Familie gefürchtet zu sein. Schon eigenartig: Kaum hörte ich, dass die mir unbekannte, verhasste Oma mein geistiges Ebenbild sein sollte, wurde sie mir sympathisch. Vielleicht hätten ihre selbst ernannten Opfer und Untertanen entweder den Hinweis auf die Ähnlichkeit oder das Ding mit der Ablehnung weglassen sollen, damit ich nicht freudig in das Lager und die Arme ihrer Gegnerin, der Oma liefe und Schützenhilfe leistete.

Am Abfahrtstag saßen wir im Luxushotel beim Frühstück. Zu unseren Plätzen wurde die aktuelle Hauszeitung mit Wetter und internationalen Nachrichten in deutscher Sprache gebracht. Ich war perplex und Junior wiegelte ab. „Kein Ding. Pressedatenbank und A3-Drucker im Keller.“

„Danke, das ist wirklich hochinteressant.“

Wir unterhielten uns über die bevorstehende Fahrt. Die Eindrücke von Minsk simmerten in Nebensätzen auf kleiner Flamme zum Eindicken. Was mir und meinem Sohn in erdrückender Erinnerung bleiben würde, war die Ruhe dieser Großstadt. Es konnte nicht sein, dass die Gesichter nahezu regungslos, ohne Mimik waren. Doch. Die Menschen gingen ihren Tätigkeiten und ihren Gedanken in einer blutarmen, farblosen Hoffnungsverlassenheit nach.

„Der Puls der Stadt. Dass ich nicht lache. Es ist, als ob sich hier keiner etwas zu sagen traut. Völlig ausgelutscht“, sagte mein Sohn in einer brillanten Analyse. In kritischer Sozialbetrachtung biss er in das gut gebutterte, noch warme französische Croissant. Das Hörnchen der elitären Anteilnahme hatte er sich am gigantischen Buffet mit einer der in Übermaß bereitliegenden vernickelten Gebäckzangen gegriffen. Seinen Anlauf zur Systemkritik nahm ich beiläufig wahr. ›Hoffentlich ist seine Bindungsfähigkeit von längerer Ausdauer als seine guten Vorsätze. Das mit dem Obstsalat hat sich rasend erledigt.‹

„Schatz, das hast du gestern Abend vom Balkon gerufen“, sagte Katja in der kurzen Vokallänge des gegenseitigen Kosenamens. Für mich war es noch nicht einleuchtend geklärt: ›Variiert sie ›Schatz‹ auch in scheinbar gleichen Stimmungsbildern oder bei ähnlich gelagerten, erahnbaren Absichten? Ist der gestreckte Vokal in der Zielrichtung eines Rufes, als würde sie ein Kind vom Spielplatz holen, zu verstehen? Eine Ermahnung? Ich dachte, dass die kurze Variante für Zurechtweisung und die lange für Respekt steht? Oder soll das kurze ›Schatz‹ signalisieren, dass alles im grünen Bereich des Alltäglichen ist, und ›Schaaatz‹ markiert einen wie auch immer gelagerten Tritt neben den gemeinsamen Weg? – Es passt alles nicht. – Wo war ich? Zurückspulen bitte. – Was war los? Er brüllte vom französischen Balkon aus dem Hotel in die Innenstadt von Minsk?‹ „Was hat er angestellt?“, hätte ich auch ohne Vorgeschichte und jegliche Überlegungen sofort fragen können.

„Nichts Verwerfliches. Ich habe Resümee gezogen und angemerkt, dass die Leute mir zu bedrückt herumlaufen. Noch toter, und sie gehen locker als Zombies durch.“

„Schaaaaatz!“

›Oha, jetzt ging der Vokal lang und zudem in den Keller Richtung Bassschlüssel. Das ist keine Respektbekundung mit diesem Grollen auf dem Nebengleis. – Oder gerade. Bei Gangmitgliedern wird besonders schlechtes Benehmen oft auch honoriert.‹

„Es hat mir gestunken. Und dann bin ich auf dem Balkon und habe angemerkt: „Sascha, komm, wir müssen reden.“ Ist doch wahr. Das kann nur am System liegen.“

„Du bist ein Held“, sagte ich abfällig zu meinem Sohn. Es ist an Risikobereitschaft im Kampf für demokratische Werte kaum zu überbieten, als Bürger der Bundesrepublik Deutschland, der in einem Luxushotel übernachtet. Er hätte maximal wegen Ruhestörung belangt werden können. Vor seiner Freundin gut dastehen wollte er – sonst nichts.

„Schatz, du hast sehr laut gerufen. Wirklich, Anna, sehr laut.“

„Er sollte es direkt im Präsidentenpalast hören. Wer weiß, ob er die normalen Mitschnitte überhaupt bekommt?“

„Wovon redest du? Welche Mitschnitte?“ Mein Sohn kam mir merkwürdig vor. Nicht dass er von seinem Frühstück einen Cholesterinschock bekommen hatte, wenn es so was gibt.

„Tonaufnahmen. – Sicher auch Video. Die ganze Bude ist verwanzt. Das ist sonnenklar. Würde ich auch machen.“

„Wie kommst du darauf?“

„Hallo? Sozialistischer Überwachungsstaat? Das Hotel als Devisenschubse einerseits, und die westlichen Geschäftsreisenden fühlen sich in dem Haus sicher. Sie spielen Casablanca. Jeder gibt sich wie Bogart. Wenn ich in Osteuropa was verwanzen würde, dann wäre es diese Bude.“

„Das glaube ich nicht.“

„Aaana, doooch. In ganzes Hotel wird siicher aufgenommen. Das ist normaaal.“

Mir gefiel der Gedanke nicht, abgehört zu werden, obwohl ich nichts zu verbergen habe.

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Hatte er Recht? Ist es egal? Geht es einen Gast nichts an?

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