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Mit dem Radlader ins Hotel

von Marc Krautwedel

Kapitel 19: „Auf Wiedersehen“

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»Auf Wiedersehen!«

»Auf Wiedersehen!«

Venedig

An unserem nicht x-beliebigen, hier nicht näher präzisierten Hochzeitstag hatten mein Mann und ich einen Kurzurlaub nach Venedig unternommen. Aus meiner Liebe zu der Stadt hatte ich nie einen Hehl gemacht und sie mehrere Male – einmal sogar für einige Wochen – besucht. Es nur als Ort zu bezeichnen, träfe es nicht im Mindesten. Der Ort ist die Manifestation einer ehemals bewegten Zeit. Venezianische Kaufleute fuhren durch die ganze Welt. Nun kommt diese auf Flipflops in die Lagune. Wie sicherlich recht viele Touristen vergesse ich zuweilen – oder möchte es nicht wahrhaben, dass ich selbst Touristin bin.

Ohne reserviert zu haben, gingen wir an diesem speziellen der sechs Abende, an denen wir uns in der Lagune befanden, in Harrys Bar, um zu essen. Es war im September und abends noch sehr warm. Auf allzu legere, grillsaisongemäße Bekleidung hatten wir dennoch verzichtet. Hochzeitstagsreise! Also bitte! Die Spielhosen blieben zu Hause. Es war scheinbar nichts zu machen. Wir sahen, obwohl es keine Warteschlange gab, dass ein Paar, das vor uns hineingegangen war, abgewiesen wurde. Aber direkt danach kam der aufmunternde Blick eines Kellners. Wir bekamen tatsächlich den einzigen noch freien Tisch. Es hatte den Anschein, dass er schon eine Weile das Objekt der Begierde von Suchenden ohne Reservierung war. Es musste so gewesen sein, denn von den anderen Gästen wurde kritisch zur Kenntnis genommen, dass der ehemals freie Tisch nun besetzt würde. Das weckte die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Unser Stellenwert im Ranking hob sich ohne eigenes Zutun. Das bereitete nicht nur Freunde. Am wenigsten Applaus ernteten wir am Nachbartisch. Wahrscheinlich war der Laden von Promis nur so gespickt, denn zeitgleich liefen in Venedig die Filmfestspiele, die Biennale. Ausgerechnet den uns betreffend eingeschnappten Koloss gegenüber erkannte ich. Es war ein ausgesprochen massiger Filmregisseur der ersten Garde Hollywoods. Er saß nicht allein – aber ganz ehrlich – ich weiß nicht, wer sich neben ihm sonnte. Schauspieler, Familie, Anwälte, ... – wer auch immer. Auf jeden Fall saß er im Zentrum der Aufmerksamkeit von zumindest seinem Tisch. Er war es gewohnt, dass sich das Interesse an ihm auf ganze Säle erstrecken konnte. Die Kenntnis, erkannt und beobachtet zu werden, steckte er weg. Es hatte, entweder von Ignoranz oder Selbstbewusstsein getragen, überhaupt keine Auswirkung auf seine Tischmanieren oder sein gänzlich unangemessenes Gastverhalten. Seine Nudeln aß er nicht, er schaufelte sie. Die anderen am Tisch taten es ihm gleich, wenn auch in kleineren Einzelportionen. Beim Bagger würde man sagen: ›mit geringerem Löffelvolumen‹. Der Herr, der nicht wie ein Herr aß, blickte aus seinen tief liegenden älteren Augen auf uns, als seien wir eine Störgröße in seinem Universum. Mir war unwohl, seinen Blick zu spüren. Er beobachtete jede Regung an unserem Tisch, während er seine Nudeln mit weit nach vorne gebeugtem Oberkörper und dem Gesicht über dem Teller kaute.

„Kennst du den dicken Alten?“, fragte mein Mann in seiner unnachahmlichen Zurückhaltung. Bei einem einfachen Austausch zauderte er nicht mit sehr direkten Worten.

„Ja. Sieh aber sie nicht hin, das macht man nicht. Das ist ein Filmregisseur.“ „Was für einer?“

Diese investigative Frage meines Mannes war nur Höflichkeit. Er kannte keinen einzigen Filmemacher mit Namen, und ob er nun von den ihm Unbekannten jemanden irgendwie zuordnen könnte, wäre für ihn gleichsam wenig interessant wie belastend gewesen. Davon, dass ich einen Regisseur erkannte, der einen Film gedreht hatte, den mein Mann mochte, ist er richtigerweise sowieso nicht ausgegangen. „›UndsoWeiter‹ aus Hollywood“, antwortete ich, ohne dass jemand in dem Raum außer meinem Mann imstande war, die Ortsbezeichnung von meinen Lippen abzulesen. Das wäre ein peinlicher Fauxpas gewesen.

„Ach. Und was will er hier?“

„Essen, du siehst es überdeutlich. – Guck bitte nicht hin. Mann, es sind Filmfestspiele. Da bietet es sich an, hierher zu kommen, wenn man ein Star in der Branche ist.“

„So wie der isst, verliere sogar ich den Appetit.“

„Ich sag doch: Sieh nicht hin! Das ist peinlich. Wir haben morgen Hochzeitstag und du spielst mit dem Nachbarskind Blickemessen.“

„Mache ich gar nicht. Er gafft. Außerdem hat er eher ein Problem mit dir.“

„Wie kommst du darauf?“

„Guck dir euch beide an! Gegensätzlicher könnten Menschen nicht sein. Du bist sein Kulturfeind.“

„Das ist ein Mann.“

„Dadurch wird es nicht besser, im Gegenteil.“

Der Promi machte lautstark auf sich aufmerksam, indem reichlich Eis für die Cola bestellte, die sie alle zum Essen tranken. Der Einfachheit halber schien der Kellner ihnen gleich einige große Plastikflasche der bevorzugten Getränkerezeptur auf den Tisch geknallt zu haben. – Der Ober kam mit dem georderten Eis.

„Wow“, sagte mein Mann. „Das nenne ich Service. Die scheinen auch genug von ihm zu haben und machen sich jetzt ein paar Späßchen auf seine Kosten. Guck mal! Ein ganzer Sektkühler voll mit Eis – und nur mit Eis. Da! – Mitten auf den Tisch gefeuert. Keiner lacht, keiner findet es sonderbar. Guck mal, guck mal, guck mal! Jetzt greifen die mit Unterhandgriff in den Kühler, fischen Eiswürfel raus und schmeißen sie in ihre Colagläser.“ Mein Mann kam vom Bau und scherte sich wenig um Gepflogenheiten, aber sein Benehmen konnte er durchaus dem Ort und dem Anlass entsprechend anpassen – wenn er es wollte. Das heißt mit keiner Silbe, dass ihm nicht auch der Kragen in jede Richtung platzen konnte und er nicht für eine unpassende Überraschung gut war. Ich verstand schon, warum der Regisseur uns und die Situation um uns nicht mochte. Wir genossen mehr, als dass wir aßen und wir tranken den Rotwein in Maßen, ohne uns das Essen damit hinunterspülen zu wollen. Außerdem – aber das ist privat und war der bessere Teil der Kommunikation – sprachen wir überwiegend über uns statt über andere. Der Service am Tisch war professionell, doch bezaubernd persönlich: freundlich zurückhaltend, zuweilen sogar vertraut plaudernd, auch weil wir am Vorabend schon da waren.

Wir waren mit uns beschäftigt und bemerkten nicht mehr, dass die Gruppe um den Regisseur sich aufmachte, Harrys Bar zu verlassen. Der raumgreifende, schweratmende Filmemacher blieb an unserem Tisch stehen, sah mich mit einem verachtenden Grinsen an und schnauzte zynisch: „Auf Wiedersehen.“ Es klang wie eine Drohung. Während ich sinnlos versuchte, das Gesagte in irgendeinen verwendbaren Zusammenhang zu bringen, stellte sich der Kellner neben unseren Tisch und rief laut und deutlich seinem Gast hinterher: „Hasta la vista!“, und er machte einen ausufernden Rückhandschlag mit dem Arm. Ich blickte meinen Ehemann fragend an.

Er lächelte wissend. „Ja, ja, mein Liebling. So ist das.“

„Wie ist was?“

„Mit dir.“

„Wie, mit mir? Ich habe doch überhaupt nichts gemacht.“

„Nein, hast du wirklich nicht.“

„Ja, warum reagiert er denn so aggressiv?“

„Der Kellner ist auf deiner Seite.“

„Was für eine Seite?“

„Ist es nicht ein wunderschöner Abend?“

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