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Mit dem Radlader ins Hotel

von Marc Krautwedel

Kapitel 17: Lecker! Suuupe

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Lecker! Suuupe.

»Lecker! Suuupe.«

Landpartie Minsk


Sascha, meines Sohnes Geschäftspartner und Katjas Arbeitgeber holte uns nach einem spärlichen Frühstück am Hotel ab. Ich konnte nichts essen, Katja aß generell viel zu wenig und sogar Junior ignorierte Rührei, Speck und Mini-Rostbratwürste. Kaffee, Grapefruitsaft und Obstsalat waren seine Starter in den Tag. Wenn es ein Vorsatz war, an Schlankheit zu gewinnen, wäre meine Anerkennung ihm fast sicher gewesen. Wie lange er es durchhalten wollte oder würde, stand in den Sternen. Als seine Französischlehrerin mir dereinst strahlen mitteilte, dass er eine gute Klausur hingelegt hatte, musste ich sie bremsen. „Freuen Sie sich nicht zu früh.“

„Aber nein. Seine Leidenschaft für die Sprache ist entfacht.“

„Glauben Sie mir. Entfacht ist sein Wille, nicht länger zur Schule zu gehen als nötig. Er will nicht sitzenbleiben. Die Zwei ist ein Ausrutscher.“ So war es auch und er kam durch.

Nun arbeitete er am Projekt ›Obstsalat‹ und hatte Startschwierigkeiten, wie seinem desillusionierten Blick auf das Schälchen vor ihm zu entnehmen war. Saschas Eintreffen rettete Junior vor einem zu frühen Rückschlag. Er wollte uns sein Büro in Minsk zeigen und uns seine Kinder in seinem Haus vor den Toren der Stadt vorstellen. Dort würden wir auch seine Frau wiedersehen. In dem schneeweißen SUV einer japanischen Luxusmarke fuhren wir zu Saschas Büro. Das Gebäude war purer Brutalismus, auch wenn die Sichtbetonflächen keine andere Aussage innewohnte, als dass sie nicht verkleidet waren. Empfang, Besprechungszimmer, Chefzimmer, Vizedirektor. Die haben es dort mit Direktorentiteln. Das bieder eingerichtete Büro war, wie man sich so was vorstellt, wenn man Langeweile und Zeit für den Gedanken hat. Allerdings gab es auch einen Großraum, in dem zwanzig ziemlich unbenutzte ›Work Spaces‹ wie Boxen in einem Callcenter waren. Eine dieser schulterhohen U-förmigen Zellen war Katjas Arbeitsplatz. Ich weiß nicht, wie der übliche Arbeitstag einer Juristin in einer weißrussischen Handelsfirma ist, aber mir erschien es zu wenig Tischfläche zu sein. Dies in einem Land, in dem zumindest damals Papier einen unvergleichlich hohen Stellenwert hatte. Das Prüfen, Lesen, Ausarbeiten oder Vergleichen von Vertragsentwürfen war da undenkbar.

Seit unserem Treffen in Lüneburg hatte Sascha mich in sein Herz geschlossen. Meinen Sohn betreffend, sah er sich wie ein Ehevermittler mit einem glücklichen Händchen. Es war seine Idee, die beiden zusammenzubringen – und sie fruchtete. Er fühlte sich – und das nehme ich ihm auch ab – ihnen gegenüber wie ein väterlicher Freund. Bei mir war er wie ein gut gesinnter Vertrauter. Er stellte mir seinen ersten Direktor vor, der von Statur und Bärtchen etwas vom Staatspräsidenten hatte. Sein Auftreten war sehr zuvorkommend und höflich .

Bevor ich wusste, wie mir geschah, saßen wir wieder bei Sascha im Auto und fuhren Richtung Stadtgrenze, wo er uns ein Bauprojekt zeigen wollte. Auf dem Weg dahin sahen wir rechter Hand eine Plattenbausiedlung mit zahlreichen Hochhäusern.

„Dort wohnen meine Eltern“, sagte Katja.

Wenige Kilometer später ging es links ab und durch den Wald zu einem kleinen Dorf. An dessen Flanke war eine Neubausiedlung scheinbar hochpreisiger Einfamilienhäuser im zaghaften Entstehen. Ich vermutete den lokalen Luxus nur aufgrund des deutlichen Unterschiedes zu den älteren Häuschen. Ohne zu wissen, was ich da sollte, stiegen wir aus. Sascha präsentierte mit aufgeregter, guter Laune und ausgebreiteten Armen sein Projekt von dreißig, vierzig oder fünfzig Häusern, von denen drei Stück sich im Bau befanden. Wie viele Bauplätze es angeblich waren, erinnerte ich in dem Moment schon nicht mehr.

›Toll‹, dachte ich. ›Und was soll ich hier als angehende Schwiegermutter und auf dem besten Wege Oma zu werden?‹

„Sehr schön, Sascha. Wirklich sehr schön. Ich bin beeindruckt.“

„Das ist ein Traum. Hier entstehen Luxushäuser. Wir bauen sie günstig und verkaufen sie teuer. Das ist ein leichtes, ganz schnelles Geschäft.“

„Herzlichen Glückwunsch“, sagte ich. „Es sieht nett aus. Hier, hinterm Wald, gleich an der Schnellstraße und man ist ruckzuck in der Stadt.“ Mehr war an Lobhuldigungen nicht machbar.

„Dann sind wir uns einig. Du investierst hier. Wir sind Partner“, sagte der Mann, der seit einem Jahr mit meinem Sohn Verhandlungen über die Altlast von Firma in Sankt Petersburg, die ich verkaufen wollte, führte. Der Heiratsvermittler war dabei, mir in die leere Tasche fassen. Ganz spontan. Obwohl, so spontan schien es nicht gewesen zu sein. Also war es nur für mich überraschend.

Junior war auch in Unkenntnis der geplanten Verkaufsveranstaltung, aber er nahm es locker: „Super. Wenn es eine sichere Geldanlage gibt, dann für Westler in Weißrussland. Das ist leichter, als Geld zu verbrennen. Das Grundbuch, sofern es hier so etwas gibt, wird zur Witzseite im Dorf“, sprach er und das junge Glück erfreute sich gemeinsam an seinem Humor.

„Mein lieber Sascha, wie kommst du darauf, dass ich hier investiere. Ich könnte es gar nicht. Womit?“

Er lachte. „Das ist es ja. Es ist sehr günstig.“

„Du hast mich scheinbar nicht richtig verstanden. Ich habe kein Geld, das ich hier reinstecken könnte.“ Das Gespräch entwickelte sich etwas eigentümlich. Auf der einen Seite glänzte die strahlende Ignoranz gegenüber monetären Tatsachenberichten. Und bei mir schlich sich die Frage ein, wann nur und wodurch er – oder wer auch immer – überhaupt auf die Idee gekommen war. Ich beendete die Argumentation meinerseits. Mit einem fragwürdigen Unterhaltungswert sprach er noch Stunden später wieder von dem Projekt. Wie jemand, der unbeirrt seine Tuba bläst, obschon ein richtig fetter Sommerregen eingesetzt hatte.

Nach der Ortsbesichtigung ging es zu Sascha nach Hause. Dort erwartete uns seine Frau. Wir inspizierten im Rahmen einer groß angelegten Führung sein Haus samt Nebenhaus. Letzteres hatte Hobbyraum, Sauna und Tischtennisplatte. Zurück im Haupthaus rief er kurz Richtung Obergeschoss und seine Kinder kamen wie die Orgelpfeifen anständig die Treppe hinunter, um mit uns zu essen. Es gab Hühnersuppe. So eine Suppe hatte ich viele Jahre nicht mehr gesehen. Sie sah aus und roch wie die Stärkung bei einer schweren Erkältung. Labbrig gekochte Haut zog sich in toten Fetzen fast handtellergroß durch die Schüssel. Die Fettaugen waren wie Daumennägel.

Katja, die kein Gramm Fett am Körper hatte, blickte auf die Suppe und sagte: „Hmm, lecker! Suuuppe. Die sieht aber gut aus“, und sie schmiss sich weg vor Lachen. In diesem Moment fiel mir ein, dass sie schon vorher auch in dessen Anwesenheit sehr freizügig mit ihren kritischen und sogar abfälligen Bemerkungen über ihren Arbeitgeber umging.

Beim Essen versuchte er noch ein paar Mal, Grundstücke zu verkaufen. Erfolglos. Danach musizierten seine Kinder auf Klavier und Akkordeon. Zum gut gemeinten Abschluss griff Sascha selbst zur Gitarre. Er setzte sich aufs Sofa, holte den einen schmachtenden Blick aus der Schublade und säuselte ein weißrussisches Volkslied von Liebe, Leid und Tränen der Heimat. Ich war geplättet. – Und ich war froh wie dankbar, als er uns zurück ins Hotel brachte.

Nachts um halb eins saßen wir allein in der Hotelbar und schoben Kohldampf. Von der Suppe, die kaum Einlage, dafür Haut und Fettaugen in Unmengen enthielt, konnten wir uns nicht sattsehen und wollten uns nicht satt essen. Wir spekulierten darauf, spät in der Bar neben Getränken auch eine Barkarte an Speisen vorzufinden. Und siehe da: „Dreimal Lasagne bitte.“ Ich fasse zusammen: Luxushotel, Hotelbar nachts um halb eins, Lasagne. Das klingt schon teuer. Tatsächlich war der Preis neun Euro fünfzig. Wir hätten schon vorher im Hotel essen sollen.

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